Die Energiewende stellt Verteilnetzbetreiber in Deutschland vor große Herausforderungen. Dezentrale Stromerzeugung, Elektromobilität und volatile Energienetze machen eine umfassende Digitalisierung unerlässlich. Gerhard Radtke, unabhängiger Energieberater, gibt Einblicke in die Digitalisierung von Ortsnetzstationen.
Herr Radtke, Sie sind Berater in der Energiebranche. Nach Ihrer Ausbildung zum Elektriker und einem Elektrotechnik-Studium waren Sie fast 30 Jahre in führenden Positionen bei VEW, RWE und innogy tätig, zuletzt im Innovationsmanagement. Seit einigen Jahren arbeiten sie als selbstständiger Berater für die Energiebranche. Daher sind wir gespannt auf Ihre Einschätzung: Welche Herausforderungen sehen Sie aktuell für Verteilnetzbetreiber (VNB) in Deutschland?
Gerhard Radtke, unabhängiger Energieberater
Gerhard Radtke: Die größten Herausforderungen für die VNB sind die Integration erneuerbarer Energien, die zunehmende Elektrifizierung und die steigende Nachfrage nach Elektromobilität. Und die werden sie meistern. Dennoch haben die genannten neuen Faktoren das bisher gut dimensionierte Niederspannungsnetz unter Druck gesetzt. Früher war der Stromfluss deutlich besser vorhersehbar, und er floss immer nur in eine Richtung von der Trafostation in die Haushalte. Doch die volatilen Einspeisungen der Erneuerbaren sowie schwer prognostizierbare Lasten wie beispielsweise das Laden von E-Fahrzeugen machen den Netzbetrieb deutlich komplizierter. Die VNB können sich nicht länger mehr nur auf Erfahrungswerte und punktuelle Messungen verlassen. Sie brauchen eine digitale Echtzeitüberwachung.
Was hat sich denn in den Verteilnetzen in den vergangenen Jahren konkret verändert?
Gerhard Radtke: Früher war einiges anders – die Betriebsmeister kannten ihre Netze so gut, dass sie am Brummen des Transformators hören konnten, wie stark die Last war. Das hat sich aber in Zeiten dezentraler Einspeisung und volatiler Lasten geändert. Heute ist das Netz viel komplexer und durch bloßes Hinhören und mit einem Schlepp-Amperemeter pro Ortsnetzstation nicht mehr zu kontrollieren. Hier kommen digitale Messsysteme ins Spiel, die die nötigen Daten liefern, um das Netz stabil zu halten.
Die Digitalisierung der Ortsnetzstationen wird also wichtiger. Dabei spielt auch §14a EnWG eine Rolle. Können Sie uns erläutern, warum?
Gerhard Radtke: § 14a EnWG regelt den Einsatz steuerbarer Lasten wie Ladeinfrastruktur für Elektroautos. Um die Lasten flexibel zu steuern, müssen Messdaten direkt aus den Ortsnetzstationen gewonnen werden. Die Messungen sind wichtig, damit die VNB den aktuellen Netzzustand kennen und schnell auf hohe Lasten oder Einspeisung reagieren können. Neben der permanenten Erfassung von Spannungs- und Stromwerten ist es auch ratsam, die Belastungen durch Oberschwingungen zu überwachen. Diese Messungen sind Grundlage für einen intelligenten und effizienten Netzbetrieb.
Welche Vorteile bieten die Messungen in Ortsnetzstationen konkret für die Verteilnetzbetreiber?
Gerhard Radtke: Erst durch die Digitalisierung der Ortsnetzstationen erhalten die VNB detaillierte Einblicke bezüglich Netzbelastung und Netzqualität. Die Verteilnetzbetreiber sind dadurch in der Lage, Lasten besser zu verteilen und Überlastungen frühzeitig zu erkennen. Sie können somit den Netzbetrieb optimieren. Außerdem lassen sich mit diesen Daten auch frühzeitig Netzstörungen erkennen, was das Risiko von Netzausfällen erheblich reduzieren kann. Kurz gesagt, die Verteilnetzbetreiber können mehr agieren, anstatt nur zu reagieren.
Sie haben in Ihrer beruflichen Laufbahn bereits verschiedene Systeme zur Digitalisierung von Ortsnetzstationen gesehen. Worauf sollten Verteilnetzbetreiber bei der Auswahl solcher Lösungen achten?
Wichtig ist, dass die Lösung einfach zu installieren und flexibel erweiterbar ist. Eine modulare Lösung, die sich an die individuellen Bedürfnisse der VNB anpassen lässt, ist hier entscheidend. Darüber hinaus sollte die Lösung nicht nur die Stromflüsse, sondern idealerweise auch die Leistungsflüsse in allen 4-Quadranten erfassen. Wenn dann zusätzlich noch Netzqualitätsdaten aufgenommen werden, erhalten die VNB ein vollständiges Bild des Netzgeschehens und können bei Bedarf steuernd eingreifen. Ich habe positive Erfahrungen mit Systemen gemacht, die diese Anforderungen erfüllen und den VNB wertvolle Erkenntnisse liefern.
Sie haben in Haßfurt ein System kennengelernt, das zur Digitalisierung von Ortsnetzstationen eingesetzt wird. Können Sie uns von Ihren Erfahrungen berichten?
Ja, ich habe die Installation und Inbetriebnahme in zwei Ortsnetzstationen begleitet. Die Stadtwerk Haßfurt GmbH hat sich für das Aidon System entschieden, das durch seine einfache Handhabung überzeugt. Die Installation verlief schnell und unkompliziert, und nach einer kurzen Anlernphase waren die ersten Messwerte bereits verfügbar. Das System misst nicht nur die Belastung des Ortsnetztransformators, sondern auch die einzelnen Phasen inkl. Nullleiter aller Kabelabgänge. So konnten interessante Erkenntnisse gewonnen werden, die vorher nicht bekannt waren –- etwa, dass die Kabel noch Leistungsreserven haben, dass man aber die Blindleistung etwas näher untersuchen sollte. Außerdem ist das System so konzipiert, dass es flexibel erweitert werden kann, zum Beispiel für noch detaillierte Messungen bezüglich der Netzqualität sowie Auswertungen der vorhandenen Messwerte.
Was würden Sie den deutschen Verteilnetzbetreibern empfehlen, um die Herausforderungen der Energiewende erfolgreich zu meistern?
Digitalisieren Sie jetzt Ihre Ortsnetzstationen. Das Niederspannungsnetz der Zukunft muss digitaler werden. Stadtwerke sollten sich vernetzen, um gemeinsam neue Technologien zu testen und von den Erfahrungen anderer zu profitieren. Flexible, zukunftssichere Lösungen sind der Schlüssel.
Wie sehen Sie die Zukunft der Digitalisierung im Energienetz?
In den nächsten Jahren wird die Digitalisierung immer mehr Möglichkeiten eröffnen. Ansätze wie digitale Zwillinge, die es ermöglichen, Netze in Echtzeit zu simulieren und Lastflüsse zu prognostizieren, werden zur Normalität. Mit der zunehmenden Integration von KI und maschinellem Lernen wird es möglich sein, Netzprobleme noch präziser vorherzusagen und zunehmend mehr automatisierte Steuerungen einzuführen.
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