21.06.2024 – Das Fraunhofer ISE schlägt vor bei der erneuerbaren Energieproduktion statt in der Niederspannungs- auf der Mittelspannungsebene zu agieren. Vor allem PV-Großkraftwerke sollen durch den Wechsel in die höhere Systemspannung ein enormes Ressourceneinsparpotenzial freisetzten können.
Bei einem PV-Stringwechselrichter mit 250 kVA wird bei einer Erhöhung der Ausgangsspannung von 800 VAC auf 1.500 VAC der Kabelquerschnitt um 75 Prozent reduziert. (Bild: Fraunhofer-Institut für Solare Energiesysteme ISE)
Da für den Umbau des Energiesystems in Richtung der Erneuerbaren weltweit enorme Rohstoffmengen benötigt werden, sind ressourcenschonende Innovationen gefragt. Allein die prognostizierten Ausbauzahlen neu installierter PV-Anlagen werden sich in steigenden Bedarfen nach Kupfer- und Aluminiumleitungen niederschlagen – schließlich müssen die PV-Kraftwerke ans Netz angebunden werden. Laut Internationaler Energieagentur könnte jedoch der Kupferbedarf das angekündigte Angebot bereits 2025 übersteigen.
„Eine Erhöhung der Systemspannung kann hier Abhilfe schaffen. Denn durch das damit verbundene gleichzeitige Absinken der Ströme können erhebliche Rohstoffeinsparungen erzielt werden«, erklärt Andreas Hensel, Gruppenleiter am Fraunhofer ISE. Diese technische Lösung klingt einleuchtend: Eine Erhöhung der Ausgangsspannung von 800 VAC auf 1.500 VAC führt bei gleicher Leistung zu einer Einsparung beim Kabelquerschnitt um ca. 75 Prozent. Zudem sind die Verlegung und der Anschluss kleinerer Kabelquerschnitte einfacher zu handhaben und senken somit die Installationskosten.
Durch den Schritt aus der Nieder- in die Mittelspannung kann zusätzlich die Leistung der Subsysteme erhöht werden: bei einer Spannung von 1.500 V sind bereits 10 bis 12 MVA statt der heute üblichen 3 bis 5 MVA in einem Transformator möglich. Bei gleicher Kraftwerksgröße resultiert daraus eine geringere Anzahl an Transformatoren und Schaltanlagen.
Technologische Vorarbeiten bereits geleistet
Der Schritt in die Mittelspannung wurde jedoch erst möglich durch die Entwicklung hoch-sperrender Siliziumkarbid-(SiC)-Bauelemente mit hohen Schaltgeschwindigkeiten. Bereits 2023 hat das Fraunhofer ISE im Projekt „MS-LeiKra“ den weltweit ersten Mittelspannungs-PV-Stringwechselrichter entwickelt und erfolgreich getestet. Dieser zweistufig aufgebaute Wechselrichter hat eine Ausgangsspannung von 1.500 VAC bei einer Leistung von 250 kVA.
Im Projekt » MS-LeiKra« entwickelte und demonstrierte das Fraunhofer ISE den weltweit ersten PV-Stringwechselrichter im Bereich Mittelspannung. (Bild: Fraunhofer-Institut für Solare Energiesysteme ISE)
„Wir haben demonstriert, dass technologisch die Weichen für den Weg in die Mittelspannung gestellt sind. Wir sind überzeugt davon, dass es aufgrund des enormen Materialbedarfs nicht mehr darum geht, ob die Technologie Einzug halten wird, sondern wer die ersten Akteure an diesem aussichtsreichen Markt sind«, erklärt Christian Schöner, Projektleiter am Fraunhofer ISE.
Roadmap vorgezeichnet
Die Freiburger Forscher:innen bereiten bereits weitere Schritte vor, um ihre Mittelspannungsoffensive voranzutreiben. So ist eine erste Photovoltaik-Pilotanlage auf Basis des Mittelspannungs-PV-Stringwechselrichters aktuell in Planung.
Zudem wurde ein europäisches Konsortium mit Vertretern aller an einem PV-Großkraftwerk beteiligten Gewerke gebildet, welches die für den Sprung in die Mittelspannung nötigen technologischen und normativen Voraussetzungen gemeinsam untersuchen.
Dabei sollen Mittelspannungs-PV-Großkraftwerke erst den Anfang der Mittelspannungsoffensive bilden. Nach Ansicht des Fraunhofer ISE sind Ladeinfrastruktur, Industrienetze, Großwärmepumpen, Batteriespeicher, Elektrolyseure oder Windkraftanlagen ebenfalls theoretische Anwendungsgebiete für die niedrige Mittelspannungsebene. (cp)