07.11.2024 – Energy Sharing ermöglicht es, lokal erzeugte Energie in der Nachbarschaft zu teilen. Doch Deutschland hinkt im europäischen Vergleich hinterher. Das dena-Projekt ESC-digital will Lösungen entwickeln, um rechtliche Hürden zu überwinden und Energy Sharing hierzulande voranzubringen.
In vielerlei Hinsicht ist die Energiewende mehr als nur eine technologische Herausforderung. Sie ist ein gesellschaftliches Projekt, das die aktive Teilnahme der Bürger:innen erfordert. Energy Sharing ist ein vielversprechendes Konzept, das nicht nur das Bewusstsein für erneuerbare Energien schärft, sondern auch Anreize für Privatpersonen und Organisationen schafft, den Betrieb und den Ausbau von erneuerbaren Energieerzeugungsanlagen voranzutreiben.
Durch das Teilen von Energie innerhalb einer Gemeinschaft können Teilnehmende – darunter Haushalte, Unternehmen und Kommunen – nicht nur ihre Energiekosten senken, sondern auch zur Stabilität des Stromnetzes beitragen. Überschüssige Energie, etwa aus Solaranlagen, wird an Nachbarn oder lokale Betriebe weitergegeben, was wirtschaftliche Vorteile bringt und die Akzeptanz der Energiewende fördert.
Hürden auf dem deutschen Energiemarkt
Trotz der Vorteile steht das Energy Sharing in Deutschland jedoch noch vor erheblichen Herausforderungen. „In Deutschland fehlt bislang ein klarer Rechtsrahmen, der es Bürger:innen einfach und rechtssicher ermöglicht, Energie zu teilen“, erklärt Corinna Enders, Vorsitzende der Geschäftsführung der dena. Nach aktueller Gesetzeslage gelten die Teilnehmenden einer Energy Sharing Community als Stromlieferanten, was umfangreiche Pflichten wie Netznutzungsverträge und Meldepflichten mit sich bringt. Diese Vorgaben sind für kleinere Akteure oft schwer umzusetzen, was die Entwicklung von Energy Sharing in Deutschland bremst.
Vorreiter Österreich
Wie erfolgreich Energy Sharing sein kann, zeigt ein Blick ins Nachbarland Österreich. Dort wurde im Juli 2021 mit dem Erneuerbaren-Ausbau-Gesetz (EAG) der rechtliche Rahmen für den nachbarschaftlichen Stromhandel geschaffen. Seitdem sind mehr als 2.000 Erneuerbare-Energien-Gemeinschaften (EEG) entstanden, in denen sich Menschen lokal erzeugten Ökostrom teilen. Doch nicht nur Strom, sondern auch erneuerbare Wärme und Gas können die Bürger:innen in Österreich in ihren Energiegemeinschaften handeln. Darüber hinaus setzt das Land jetzt schon stark auf digitale Technologien wie Smart Meter. Eine eigens eingerichtete Koordinierungsstelle unterstützt die EEGs bei der Gründung und Organisation, was den Erfolg zusätzlich beschleunigt. Auch in Dänemark und Italien gibt es bereits funktionierende Modelle für Energy Sharing. In Dänemark übernimmt ein Stromhandelsunternehmen die Abrechnung des geteilten Stroms, in Italien ist der gemeinschaftliche Eigenverbrauch von Erneuerbare-Energien-Anlagen seit 2019 gesetzlich verankert.
ESCdigital
„Auch in Deutschland braucht das europäische ‘Right to Energy Sharing‘ nun einen praktikablen Rechtsrahmen. Der sollte nicht nur gewährte Privilegien und Kriterien klarstellen, sondern auch die bestehenden Rollen im Energiesystem und die Verteilung der Verantwortlichkeiten bei verschiedenen Akteurskonstellationen vor Ort berücksichtigen“, fordert Corinna Enders. Um Lösungen für die regulatorischen und technischen Herausforderungen von Energy Sharing in Deutschland zu entwickeln, hat die Deutsche Energie-Agentur (dena) im Auftrag des Bundesministeriums für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK) das Projekt „ESCdigital“ gestartet. Ziel des Projekts ist es, verschiedene Modelle für Energy Sharing zu erproben und Empfehlungen für eine praktische Umsetzung zu erarbeiten. Dabei spielt der Einsatz digitaler Technologien wie intelligente Messsysteme und digitale Plattformen eine zentrale Rolle. Gleichzeitig sollen die Teilnehmenden von vereinfachten Regeln und Prozessen profitieren, die es auch kleineren Akteuren ermöglichen, am Energiemarkt teilzunehmen. Die dena hat drei mögliche Umsetzungsmodelle für Energy Sharing in Deutschland identifiziert:
Modell 1: Zentraler Lieferant
Hier agiert der EVU als zentraler Lieferant. Die Mitglieder der Energy Sharing Community liefern ihren überschüssigen Strom an diesen Lieferanten, der dann alle Teilnehmenden mit Strom versorgt. Die Zuordnung von Erzeugung und Verbrauch erfolgt in Zusammenarbeit mit dem Versorger sowie gegebenenfalls mit Unterstützung des Messstellenbetreibers. Dieses Modell ist bereits heute unter den aktuellen rechtlichen Bedingungen umsetzbar und wird im Pilotprojekt WUNergy in Wunsiedel erprobt.
Modell 2: Lieferbeziehungen mit Intermediär(en)
In diesem Modell wählen die Mitglieder der Community eigenständig Lieferanten, die ihren überschüssigen Strom an ausgewählte Verbraucher:innen innerhalb der Gemeinschaft weitergeben. Der Intermediär organisiert die Verteilung des Reststroms, falls die Erzeugung innerhalb der Community nicht ausreicht. Dieses Modell erfordert eine engere Abstimmung zwischen Erzeugern und Lieferanten und ist derzeit nur in bestimmten Fällen umsetzbar.
Modell 3: Lieferbeziehungen ohne Intermediär
Dieses Modell basiert auf direktem Handel zwischen den Mitgliedern der Community, ohne dass ein Energieversorger zwischengeschaltet wird. Eine digitale Plattform bildet die Liefer- und Handelsbeziehungen innerhalb der Community ab, sodass Erzeuger und Verbraucher:innen ihren Strom direkt untereinander handeln können. Dieses Modell ist derzeit in Deutschland noch nicht erlaubt, bietet aber großes Potenzial für die Zukunft, insbesondere in Kombination mit neuen Technologien wie Blockchain.
Pilot-Community
Ein konkretes Beispiel für die Umsetzung von Energy Sharing in Deutschland ist das Pilotprojekt WUNergy in Wunsiedel. Hier testen Bürger:innen, Unternehmen und das örtliche Stadtwerk SWW Wunsiedel gemeinsam, wie eine lokale Energiegemeinschaft aufgebaut und betrieben werden kann. Nach Modell 1 nimmt die SWW den Strom der lokalen Produzenten auf und verteilt ihn innerhalb der Gemeinschaft. Als zentraler Akteur übernimmt SWW die Rolle des Lieferanten sowie die energiewirtschaftlichen Aufgaben wie Netz- und Messstellenbetrieb.
Das Projekt setzt auf intelligente Messsysteme (iMSys), die den Energieverbrauch und die Erzeugung transparent machen. Mithilfe digitaler Lösungen werden zudem das Management der Community, die Überwachung und Optimierung der Erzeugung und der Verbrauchsdaten sowie der Zugang zu Energiemärkten organisiert. Hierfür arbeitet die SWW eng mit Partnern wie SEtrade GmbH, Esgeht! Energiesysteme GmbH und Exnaton AG zusammen.
Die in Wunsiedel gewonnenen Erkenntnisse sollen wertvolle Informationen darüber leifern, wie Stadtwerke und Energieversorger in die Gestaltung und den Betrieb von Energiegemeinschaften eingebunden werden können und wie diese Modelle auf andere Regionen und Konstellationen übertragen werden können. Das Projekt WUNergy läuft noch bis Juni 2025 und könnte zum Vorbild für weitere Energy Sharing Communities in Deutschland werden. (pms)