12.10.2023 – Künftig sollen Netzbetreiber Netzzustandsdaten aus dem intelligenten Messsystem beziehen. Ob der Nutzen die damit verbundenen Kosten rechtfertigt, ist nicht unumstritten.
Das aktuelle Messstellenbetriebsgesetz (MsbG) sorgt für reichlich Diskussionen. Eine der wesentlichen Änderungen ist die nicht unerhebliche Kostenbeteiligung der Anschlussnetzbetreiber an der gesetzlich vorgegebenen Preisobergrenze für intelligente Messsysteme. Begründet wird die Beteiligung an den Kosten mit dem Nutzen, den die Netzbetreiber aus den intelligenten Messsystemen ziehen: Nach aktueller Gesetzeslage haben sie Anspruch auf die tägliche Bereitstellung von viertelstundengenauen Netzzustandsdaten, welche die aktuellen Smart Meter Gateways über den Tarifanwendungsfall (TAF) 10 bereitstellen können.
Gleichzeitig sieht die Novelle vor, dass der Messstellenbetreiber ab 2025 prinzipiell allen Kund:innen auf Wunsch ein intelligentes Messsystem bereitstellen muss – auch, wenn sie weder über eine eigene Erzeugungsanlage noch über eine steuerbare Verbrauchseinrichtung nach §14 verfügen. Für diesen optionalen Einbau müssten die Anschlussnehmer:innen dann einmalig 30 Euro zahlen, die jährlichen Kosten betragen auch 20 Euro und sind damit genauso hoch wie für eine einfache mME. Die Differenz zur Preisobergrenze trägt der Netzbetreiber – wie auch für alle anderen intelligenten Messsysteme. Diese Regelung soll und wird vermutlich den Smart Meter Rollout beschleunigen. Auf die Netzbetreiber könnte allerdings eine Kostenlawine zurollen, die letzten Endes wieder bei den Anschlusskund:innen landen dürfte.
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„Überschaubarer Nutzen“
Ob Netzbetreiber an allen Zählpunkten Netzzustandsdaten erheben müssen und ob sie wirklich im erhofften Umfang von den Netzzustandsdaten profitieren können, ist noch nicht endgültig geklärt. Gerhard Radtke, ehemaliger Bereichsleiter der innogy Metering und heute Berater in den Bereichen Smart Metering, Smart Grid und IoT, hat dazu eine klare Meinung: „Der Nutzen der Netzzustandsdaten für den Netzbetreiber steht in keinem Verhältnis zu der ihm gesetzlich auferlegten Kostenbeteiligung an der der Preisobergrenze.“ Das gelte insbesondere für Netzzustandsdaten von ca. 32 Millionen Haushaltskund:innen. Diese Einschätzung teilen auch viele Verteilnetzbetreiber.
Grundsätzlich sei es sehr sinnvoll und auch zwingend erforderlich, Informationen aus dem Niederspannungsnetz zu erhalten, um gezielte Eingriffe nach § 14a EnWG durchführen zu können, den Netzausbau sinnvoll zu planen und Bestandsnetze optimal zu nutzen, so Radtke.
Als studierter Elektrotechniker bezweifelt er allerdings, dass die Netzzustandsdaten, die über das intelligente Messsystem gewonnen werden, für diese Zwecke ausreichen: „Hierüber lassen sich Spannungs-Strom-/ Leistungs- und cos(phi)-Werte der einzelnen Phasen sowie der Wert der Netzfrequenz ermitteln.“ Das ist allerdings nur eine Untermenge der Daten, die für Planung und Betrieb von Niederspannungsnetzen erforderlich sind.
Qualität statt Quantität
Gerhard Radtke: „Werte zur Netzfrequenz von jedem iMSys Zählpunkt aber auch zum cos(phi) helfen nicht wirklich bei der Beurteilung des Netzzustandes. Was die Frequenz angeht, reicht es auch, diese in der Ortsnetzstation zu messen anstatt bei allen angeschlossenen Zählpunkten.“ Auch der cos(phi) dürfte laut Radtke in den meisten Fällen nicht weiterhelfen, sagt er doch lediglich etwas zur Verschiebeblindleistung zwischen Grundschwingungsstrom zur Grundschwingungsspannung aus. „Die deutlich interessanteren Werte wie Verzerrungsblindleistung oder noch besser die Oberschwingungsgesamtverzerrung der sogenannte THD (Total Harmonics Distortion) können weder mit einer modernen Messeinrichtung noch mit einem Basiszähler gemessen werden.“
Bei einer steigenden Anzahl nichtlinearer Verbraucher wie Wechselrichtern oder Schaltnetzteilen in den Niederspannungsnetzen seien es aber genau diese Werte, die zur Beurteilung des Netzzustandes zwingend erforderlich sind. „Hier helfen nur hochwertige Power Quality-Messgeräte oder Industriezähler“, so Gerhard Radtke. Andere Daten, etwa von Kurzschlussanzeigern oder zu Trafo- und Kabelbelastungen einschließlich Nullleiterströmen, können auch nicht über das intelligente Messsystem bereitgestellt werden. Das sieht auch Norbert Zösch, Geschäftsführer der Stadtwerk Haßfurt GmbH, so: „Wir beginnen in unseren ON-Stationen, Netzzustands- und Betriebsdaten zu erfassen. Dort setzen wir entsprechend leistungsfähige Zähler ein, die weit mehr Daten erfassen und übertragen können als die für den Massenrollout vorgesehenen intelligenten Messsysteme“. Ebenso wie Zösch verfahren derzeit auch andere Verteilnetzbetreiber.
Auch bei der Nutzung der Strom- und Spannungswerte, die mit dem intelligenten Messsystem erhoben werden können, bleibt die Frage ob mehr auch mehr hilft. Gerhard Radtke bezweifelt das: „Diese Werte an mehreren Stellen im Feld zu messen, macht durchaus Sinn. Die Frage ist nur, ob sie in einer 15-minütigen Auflösung in die Backendsystem gesendet werden sollen oder ob eine nach EN 50160 normgerechte Vorauswertung sinnvoller ist.“ Danach müssen 95 Prozent aller Messwerte eines Wochenintervalls innerhalb der festgelegten Grenzwerte liegen. Würde diese Vorauswertung bereits am Zählpunkt stattfinden, müsste lediglich ein Flag übertragen werden. „Nur bei Grenzwertverletzungen oder aber zu speziellen Auswertungen ist eine Rohdatenübertragung sinnvoll“, ergänzt er.
Zusatzkosten beim Rollout?
Intensiv diskutiert werden auch die Auswirkungen, die eine Erhebung von Netzzustandsdaten auf die Anbindung der Zähler an das Smart Meter-Gateway hätte. Denn dazu muss der Zähler zumindest aktuell noch fest verdrahtet werden. Diese technische Notwendigkeit konterkariert allerdings das n:1-Konzept, das aktuell von vielen Marktteilnehmern favorisiert und bereits schon umgesetzt wird, um einen wirtschaftlichen Rollout und Betrieb der intelligenten Messsysteme zu gewährleisten. Dabei ist das Ziel, möglichst viele Zähler an ein Smart Meter Gateway anzuschließen: „Besonders einfach ist das mit wMBus-Zählern zu realisieren“, sagt Gerhard Radtke. Mit dem eigens entwickelten OMS-Kompaktprofil ist es möglich, Zählerstandsgänge von mehreren Zählern per wMBus über das Gateway in die Back-End-Systeme zu übertragen. Damit entfällt ein Teil des Verdrahtungsaufwandes vor Ort, was Zeit und Geld spart. „Gleichzeitig noch Netzzustandsdaten in 15-minütiger Auflösung auf diesem Weg zu übertragen, ist zumindest momentan noch nicht möglich“, weiß Radtke. Die OMS-Gruppe arbeite allerdings bereits an einer Lösung.
Sollten aus diesem Grunde keine wMBus Zähler mehr verbaut werden? Diese Frage stellen sich derzeit einige Netz- und Messstellenbetreiber. Gerhard Radtke meint: „Das wäre fatal und wirtschaftlich nicht vertretbar.“ Auch von einer automatisierten, sternförmigen Versendung der Netzzustandsdaten von allen angeschlossenen Haushaltskund:innen sei dringend abzuraten.
Weder Fluch noch Segen
Das Fazit des Beraters dürften viele Expert:innen teilen: „Nur bestimmte Netzzustandsdaten bringen einen echten Mehrwert und das auch nur an ausgesuchten Stellen im Netz.“ Sicher sind die Netzbetreiber gut beraten, sich genau zu überlegen, ob und wenn ja von welchen Zählpunkten sie bestimmte Netzzustandsdaten benötigen – zumal den meisten klar ist, dass eine zuverlässige Überwachung des Netzzustands ausschließlich mit den Daten der intelligenten Messsysteme nicht möglich ist. Insofern sind die am Zählpunkt erhobenen Netzzustandsdaten weder Fluch noch Segen, sondern bei sinnvollem Einsatz ein kleiner Betrag, um das Niederspannungsnetz smart zu machen. (pq)