10.09.2024 – Die veralteten Nahsteuertafeln in ihren Umspannwerken konventionell zu ertüchtigen, machte für die SWKiel Netz keinen Sinn. Die digitale Visualisierungslösung von SAE erwies sich als effiziente und wirtschaftliche Alternative.
In den Versorgungsnetzen führen die Integration der erneuerbaren Energien und die Dezentralisierung der Energieversorgung zu einer anwachsenden Komplexität der Prozesse. Um mit dieser Dynamik Schritt zu halten, müssen Netzbetreiber ihre Betriebsmittel einer kritischen Beurteilung unterziehen, ob diese noch up-to-date sind.
Vor diesen Fragen stand auch die SWKiel Netz, die Netzgesellschaft der Stadtwerke Kiel AG, als sie die Modernisierung von 20 ihrer Umspannwerke in Angriff nehmen wollte. Dabei stellten sich vor allem die veralteten Nahsteuertafeln – eine wichtige Komponente der Fernwirktechnik – als Problem heraus, da diese im konkreten Fall nicht an modernere Schaltanlagenkomponenten anbindbar waren.
Doch eine Modernisierung von technisch in die Jahre gekommener Nahsteuertafeln ist in vielen Fällen eine erhebliche Herausforderung. Häufig muss dazu nämlich die bestehende Ausstattung der Nahsteuertafeln samt Fern- und Nahsteuerschienen entnommen und durch modernere Bauteile ersetzt werden.
Das erschien den Verantwortlichen in Kiel im konkreten Fall als technisch und finanziell zu aufwendig – vor allem die drohenden kostenintensiven Investitionen in neue Geräte, Kabel, Leisten, Schalter, Drähte und Telefonleitungen wollte man sich ersparen. Stattdessen entschieden sich die Netzexperten für ein völlig anderes Konzept: Zukünftig sollen die Fernwirkprozesse durch die Visualisierungslösung von SAE IT-systems über Monitore und Touchscreens vor Ort im Umspannwerk abgebildet werden.
Erweiterte Datennutzung
Da die Kieler Netzverantwortlichen seit Jahrzehnten die Fernwirk- und Stationsleittechniksysteme von SAE einsetzen, kann beim Modernisierungsvorhaben der Nahsteuertafeln auf bestehende Strukturen zurückgegriffen werden. Die Idee dahinter klingt simpel: Anstatt wie bisher die Fernwirkdaten durch die bereits implementierten SAE-Lösungen nur zu erfassen und an die Kieler Netzleitstelle zur Darstellung und Steuerung weiterzuleiten, lassen sich diese Informationen auch für anforderungsorientierte Visualisierungen vor Ort im Umspannwerk weiterverwenden.
Hierzu werden die im Fernwirksystem verfügbaren Daten – wie zum Bespiel Meldungen, Befehle, Messwerte usw. – in einem ersten Schritt gedoppelt. Daraufhin sollen die so geklonten Daten an ein mobiles Gerät vor Ort im Umspannwerk gesendet und dort über die Web-Visualisierung SAE-visIT, die sich auf dem CPU der Fernwirkstation befindet, visualisiert werden.
Herausforderung: Limitierte Datenpunkte
Dazu mussten im ersten Schritt alle relevanten Prozessdatenpunkte des Umspannwerks in die SAE-Fernwirksoftware überführt werden – wobei hinter jedem einzelnen Prozessdatenpunkt eine Meldung, ein Messwert, Sollwert oder Befehl für einen bestimmten Punkt in der Anlage stehen kann. Da die Visulisierungssoftware SAE-visIT-Software jedoch nur maximal 1.000 Prozessdatenpunkte je Projekt – etwa die Visualisierung einer 10kV-Schaltanlage – aufnehmen und darstellen kann, standen die Experten vor einer kniffligen Herausforderung.
Holger Ludwig, Fernwirk-Fachmann der SWKiel Netz, verdeutlicht die Problematik, die sich hinter der 1.000-Datenpunktbegrenzung verbirgt: „Im Umspannwerk, mit dem wir Anfang 2023 gestartet sind, haben wir ausschließlich Feldleitgeräte in den Hochspannungsschaltanlagen, die pro Feld zwischen 16 bis 25 Meldungen rausgeben. Wenn ich das mit 30 oder 40 Feldern multipliziere, sind 1.000 Datenpunkte schnell erreicht.“ Bedenkt man, dass noch zusätzliche Daten aus den Trafos und weitere Datenpunkte allgemeiner Art aus dem Umspannwerk mit in das Gesamtprojekt einfließen, ist das Maximum von 1.000 Datenpunkten schnell überschritten.
Virtuelle Segmentierung
Um dennoch alle Parameter abbilden zu können, wurden die anfallenden Daten segmentiert, also in verschiedene Gruppen aufgeteilt. Für das mittlerweile in Betrieb befindliche modernisierte Umspannwerk legten die Projektbeteiligten dazu jeweils einen Bereich für die 10 kV- und die 110 kV- Schaltanlagen, einen weiteren für die Steuerung und Bedienung der Betriebsmittel sowie einen viertes Segment für die Warn- meldungen fest.
Für die finale Darstellung der 10kV- und 110kV-Schaltanlagen setzen die Kieler Netzexperten zwei handelsübliche TV-Monitore ein. Die Daten für die Steuerung und Bedienung – zum Beispiel Trafo- und E-Spulenregelung, Seil- und Arbeitserder – sowie die quittierpflichtigen Warnmeldungen werden jeweils über ein 15-Zoll-Touchscreen visualisiert. Im Hintergrund werden die Fernwirkdaten auf vier separate SAE-FW-5-Fernwirk-Feldgeräte ausgekoppelt. Die digitale Kommunikation erfolgt über ein an den Lichtwellenanschluss gekoppeltes Feldleitgerät.
Team vor Ort profitiert
Bei der Implementierung des Systems hat das Kieler Fernwirk-Team großen Wert daraufgelegt, die Visualisierungsanwendung mit den für das Umspannwerk vor Ort verantwortlichen Servicekräften gut abzustimmen. Dieser Schritt ist logisch, da aufflackernde Warn- und Alarmhinweise hinsichtlich auftretender Störungen sinnvollerweise direkt im Umspannwerk gesucht und behoben werden sollten. „Ein Außendienstschaltmeister, eine Wartungs- oder Störungsmonteurin muss ja vor Ort mit der Warnmeldung oder Alarmliste auch sofort etwas anfangen können, damit er oder sie schnell handeln kann. Deshalb richten wir uns nach deren Anforderungen und setzen diese, soweit es uns technisch auch möglich ist, um“, erklärt Holger Ludwig von der SWKiel Netz.
So enthalten die Touchpanels für die Warnmeldungen neben den Hinweisen „Warnmeldungen zur Anzeige bringen“ und „Warnmeldungen halten und quittieren“ auch eine „Warnmelde-Liste der gewesenen Meldungen“. Vor allem die letztgenannte Funktion ist für die Fehlersuche von Bedeutung, da bei einer Störung sehr viele Meldungen erstellt und im System versendet werden. Dabei kommt es unter Umständen vor, dass sich die aufgetretenen Fehler zwischenzeitlich von selbst erledigt haben – etwa, weil der Fehler durchgelaufen ist oder sich ein Kabel aufgrund von Netzschutzeingriffen abgeschaltet hat. Daher ist eine Liste der Warnmeldehistorie zur Aufarbeitung der Fehler im Nachgang hilfreich, wenn man die genauen Umstände einer gemeldeten Störung klären will.
Limitierung als Stärke
Zur Freude aller Beteiligten stellt sich das anfängliche Manko der 1.000-Prozess- punktelimitierung als Stärke im laufenden Betrieb heraus, wie Holger Ludwig erklärt: „Wäre es möglich gewesen, alle Prozesspunkte eines Umspannwerks auf nur einem Fernwirkgerät abzubilden, hätten wir uns das Splitting in Unterbaugruppen und die entsprechende Aufteilung auf mehrere FW-5-Geräte erspart. Aber bei Betriebsstörungen oder Ausfällen des zentralen Fernwirkgeräts hätten wir dann weder eine Leitstellenkopplung noch eine Darstellung vor Ort. Hier verwandelt sich die Prozesspunktlimitierung in eine weitere Stärke. So haben wir beispielsweise beim Absturz eines 110kV-Fernwirkgeräts immer noch die anderen FW-5-Geräte, auf denen die anderen Spannungsebenen dargestellt sind, im Zugriff. Dadurch minimieren wir das Risiko eines Totalausfalls erheblich.“
Wirtschaftliche Vorteile
Mit der Visualisierungslösung, die seit Herbst 2023 im Umspannwerk in Betrieb ist, haben die Kieler Netztechniker:innen durchweg gute praktische Erfahrungen gemacht. Zudem kann die Gesamtlösung unter wirtschaftlichen Aspekten ebenfalls punkten. Nach Berechnungen von SWKiel-Netz betragen die Gerätekosten für die Visulisierungslösung lediglich ein Zehntel der Investitionskosten einer konventionellen Ertüchtigung der alten Nahsteuertafeln.
Darüber hinaus lässt sich das System auch für größere Umspannwerke einsetzen. So rüstet das Team um Holger Ludwig gerade ein drei Spannungsebenen umfassendes Umspannwerk mit der neuen Lösung aus. Die Ausstattung: drei Monitore für die Spannungsebenen 10kV, 30kV und 110kV, ein Steuer-Touchpanel sowie drei Touchpanels für Warn- und Zustandsmeldungen der drei Spannungsebenen. Und weitere Modernisierungsmaßnahmen stehen bereits in der Pipeline: Wenn alles nach Plan verläuft, will die SWKiel Netz bis zum Jahr 2030 insgesamt 20 ihrer Umspannwerke mit der SAE-Visualisierungslösung ausgestattet haben. (cp)