14.06.2024 – In ihrer aktuellen Utility 4.0-Studie haben die prego services GmbH und die Energieforen Leipzig wieder den Stand der digitalen Transformation der Energiebranche untersucht. Die Ergebnisse sind nur teilweise ermutigend.
Energiewende und Versorgungssicherheit, Kundenbindung und neue Geschäftsfelder – die digitale Transformation ist ohne Frage der Schlüssel zur Bewältigung der neuen Aufgaben, mit denen sich die Energiewirtschaft derzeit konfrontiert sieht. Niemand aus der Branche wird dies bestreiten, doch wie es wirklich in den Unternehmen aussieht, erfährt man vermutlich nur im vertraulichen Gespräch – oder in qualifizierten Marktstudien, die einen Blick in die „digitale Realität“ der Versorgungswirtschaft werfen.
Blick hinter die Kulissen
Eine dieser Untersuchungen ist die Utility 4.0-Studie von prego services, die der IT- Dienstleister mit Standorten in Ludwigshafen und Saarbrücken bereits seit 2017 jährlich erstellt. Befragt werden Fach- und Führungskräfte, die bei Stadtwerken, Versorgern, Erzeugern und Netzbetreibern nicht nur Einblick in die Prozesse haben, sondern mehrheitlich auch in die strategische Ausrichtung des Unternehmens involviert sind. Knapp ein Viertel der Befragten ist direkt in der IT tätig, doch auch andere operative Bereiche kommen zu Wort. Besonders interessant ist, dass die Studie Vergleiche zwischen unterschiedlichen Unternehmensgrößen ermöglicht: Die Befragten repräsentieren zu 58 Prozent kleine und mittlere Unternehmen mit bis zu 500 Beschäftigten.
Seit zwei Jahren sind die Energieforen Leipzig an der Konzeption, Auswertung und Interpretation der Ergebnisse beteiligt. „Wir sehen die Utility 4.0-Studie als jährlichen Wegweiser, der uns als Herausgeber, aber auch dem Leser Auskunft gibt, mit welchen komplexen Herausforderungen die gesamte Energiewirtschaft aktuell konfrontiert ist“, sagt Simone Kiefer, Fachbereichsleiterin Marketing bei prego services. Das kontinuierlich wachsende Interesse an der Studie zeige, dass dieser Branchenindex zunehmend hilfreich sei, um die eigene Position zu reflektieren und Handlungsfelder zu identifizieren. Doch wie sehen die Befunde der aktuellen Studie (2023) aus?
Schere zwischen groß und klein
Insgesamt zeigt die Studie, dass es mit der Digitalisierung in den EVU beständig vorangeht: So sehen sich inzwischen etwa drei Viertel der Befragten digital sehr gut oder gut aufgestellt, rund ein Viertel sieht Verbesserungsbedarf. Die weniger Zufriedenen stammen vorwiegend aus kleineren oder mittleren EVU, was per se nicht verwunderlich ist. Besorgniserregend ist nach Einschätzung der Autor:innen allerdings, dass die Schere im Vergleich zu den Vorjahren immer weiter auseinandergeht: Bei denjenigen (großen) EVU, die ihre IT-Infrastruktur positiv bewerten, sei eine deutliche Verschiebung zu „sehr gut“ erkennbar, während sich der Extremwert von „gar nicht gut“ im Vergleich zum Vorjahr verdoppelt hat. „Gerade für kleinere und mittlere EVU sehen wir einen erheblicher Handlungsbedarf“, fasst Simone Kiefer zusammen.
Sorgen um die Zukunft
Schaut man genauer in die einzelnen Prozesse und Segmente, bestätigt sich dieses Urteil – und die Probleme sind den Befragten sehr wohl bewusst: Der Anteil der Fach-und Führungskräfte, die ihr Unternehmen beim Netzbetrieb resilient aufgestellt sehen, ist im Jahresvergleich von fast 80 Prozent auf 65 Prozent gesunken. Bei der Zählerablesung und Zählerwertbeschaffung gingen die uneingeschränkt positiven Bewertungen um zehn Prozent zurück, 29 Prozent halten die Prozesse für teilweise resilient (Vorjahr 17 Prozent). Bei den kundenbezogenen Prozessen Abrechnung, Forderungsmanagement oder Supply Chain schätzt nur noch die Hälfte der Befragten die Prozesse ihres Unternehmens als resilient ein. Bei Kundenservice und Wechselprozessen sind die positiven Einschätzungen verglichen zum Vorjahr um zehn Prozentpunkte gesunken. „Die Kundenwahrnehmung der digitalen Prozesse bewerten die Befragten 2023 leicht besser als im schwierigen Vorjahr – möglicherweise aufgrund der Umsetzung der Preisbremsen“, erläutert Simone Kiefer. Dennoch glauben 35 Prozent, dass ihre digitale Aufstellung von den Kunden als nicht oder nicht besonders gut eingeschätzt wird.
Hoffnungsträger Digitalisierung
Dass sich durch die Digitalisierung erhebliche Vorteile ergeben würden, liegt ange- sichts dieser Befunde nahe und ist bei den Befragten unumstritten. 90 Prozent der Fach- und Führungskräfte versprechen sich eine Effizienzsteigerung. Knapp zwei Drittel (59 Prozent) glauben inzwischen auch, dass sich durch eine bessere digitale Aufstellung mehr Kunden gewinnen ließen – im Vorjahr waren das nur 42 Prozent. Auch bei der Kundenbindung sieht die überwiegende Mehrheit kurzfristig erzielbare Verbesserungen.
Was den Autor:innen der Studie zu denken gibt, fasst Simone Kiefer zusammen: „Für mehr als 80 Prozent der Befragten hat die Sicherung der Wettbewerbsfähigkeit und Zukunftssicherheit des aktuellen Geschäftsmodells oberste Priorität – möglicherweise eine Folge aus den Erfahrungen in der Energiepreiskrise.“ Die Aufmerksamkeit für neue Geschäftsmodelle und höhere Innovationskraft sei allerdings im Vergleich zum Vorjahr deutlich gesunken. Dennoch erwarte über die Hälfte der Befragten auch in diesen Themenfeldern Vorteile durch eine verbesserte Digitalisierung. Doch woran fehlt es konkret?
Die praktischen Hürden
Zeit und Personal sind der Studie zufolge die offenkundigen Engpässe bei der digitalen Transformation: Über zwei Drittel der Befragten nennen diese Themen als Hürden, zum Fachkräftemangel gibt es sogar sehr konkrete Angaben: So beklagen jeweils rund die Hälfte der Befragten, dass im Unternehmen zu viele Positionen unbesetzt sind (43 Prozent) respektive offene Stellen nicht schnell genug besetzt werden können (49 Prozent). Um den Nachwuchs hingegen scheint es in der Branche nicht allzu schlecht bestellt: Bei 54 Prozent können Ausbildungsplätze besetzt werden. Die Potenziale der Digitalisierung zur Bewältigung des Fachkräftemangels werden ebenfalls gesehen – in der aktuellen Studie vorrangig in der Automatisierung von Routineaufgaben.
Die Investitionsbereitschaft für Digitalisierungsaufgaben scheint zu steigen: Beklagten 2022 noch 50 Prozent ein zu geringes Budget, sind es jetzt nur noch 27 Prozent. Verglichen mit anderen Branchen liegt diese Gruppe nicht ganz falsch, denn die überwiegende Mehrheit der in der Studie betrachteten Unternehmen investiert höchstens zwei Prozent des Umsatzes, nur 17 Prozent liegen darüber. Auch hier zeigt die Studie ebenfalls die zuvor erwähnte Schere zwischen kleinen und großen EVU: Größere Unternehmen investieren aus Sicht der Befragten tendenziell ausreichend. Simone Kiefer verweist auf die Konsequenzen: „Die digital starken Marktteilnehmer steigern durch ausreichende Budgets ihre Prozesseffizienz kontinuierlich weiter, weniger gut aufgestellte EVU – vor allem kleinere und mittlere Unternehmen – fallen durch zu geringe Investitionen im Wettbewerb zurück.“ Es steht zu vermuten, dass objektiv auch dort noch etwas mehr möglich wäre, denn immer noch 52 Prozent der Befragten geben an, dass die Akzeptanz für Digitalprojekte in ihren Unternehmen zumindest teilweise fehlt. Und auch eine klare Botschaft an die Politik findet sich in der Studie: 45 Prozent der befragten Fach- und Führungskräfte sehen die regulatorischen Vorgaben als große Herausforderung für die digitale Transformation. (pq)