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Stromrichter können Verbundnetz stabil halten

13.07.2022 – Auf der Abschlusskonferenz zum Verbundprojekt „Netzregelung 2.0“ vermeldeten die Projektpartner, dass Wechselrichter-Systeme mit netzbildenden Eigenschaften Momentanreserve bereitstellen und damit auch das System auch in den Situationen stabilisieren können, wenn erneuerbare Energien die Stromerzeugung dominieren.

Bislang sorgen vor allem die Synchrongeneratoren von Großkraftwerken dafür, dass die Anforderungen an Frequenz und Spannung im Stromnetz eingehalten werden. Mit der Energiewende werden die Kraftwerke nach und nach durch Windenergie- und Photovoltaikanlagen ersetzt, die mit Stromrichtern an das elektrische Netz gekoppelt sind. Weiteres Ziel des vom Fraunhofer IEE koordinierten Verbundprojekts „Netzregelung 2.0“ zur Regelung und Stabilität im stromrichterdominierten Verbundnetz war es zu evaluieren, welche Regelungsverfahren und Netzanschlussregeln zukünftig für dezentrale Stromerzeugungsanlagen wie Solar-, Wind- und Batteriespeichersystemen erforderlich sind.

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Beispiel im Gigawatt-Bereich (Höchstspannung) für einen netzbildenden Stromrichter, der auch Momentanreserve für die Stabilisierung des Stromnetzes liefern kann: HVDC PLUS Converter (ALEGrO) von Siemens Energy in der ersten HGÜ-Verbindung zwischen Deutschland und Belgien zur Stärkung des Europäischen Strombinnenmarkt. Foto: © Siemens Energy Global GmbH & Co. KG

Regelungsverfahren für einen sicheren Systembetrieb

„Wir sind überzeugt, dass sich das Verbundnetz – und im Störfall genauso Teilnetze – auch mit sehr hohen Stromrichter-Anteilen stabil halten lässt. Dafür bedarf es jedoch geeigneter Regelungsverfahren. Wir haben Anforderungen an diese Verfahren ermittelt und Regelungsverfahren entwickelt, die sicherstellen sollen, dass die Stromrichter einem sicheren und stabilen Systembetrieb dienen können“, erklärt Projektleiter Dr. Philipp Strauß, stellvertretender Institutsleiter des Fraunhofer IEE in Kassel. Besonderes Augenmerk liegt dabei auf der Erarbeitung eines geeigneten Transformationspfades. „Neue Technologien müssen nahtlos in bestehende Netzregelungsverfahren eingebunden werden. Es gilt, den Übergang so zu gestalten, dass das entstehende System mindestens genauso stabil ist wie das derzeitige“, sagt Strauß.

Neben dem Fraunhofer IEE beteiligen sich an dem Vorhaben die Technische Universität Braunschweig und die Universität Kassel, der Verteilnetzbetreiber EWE NETZ GmbH, E-ON SE mit ihren Töchtern Westnetz GmbH und Mitteldeutsche Netzgesellschaft Strom mbH, die Stromrichterhersteller und Systemanbieter SMA Solar Technology AG und Siemens Energy Global GmbH & Co. KG, die European Distributed Energy Ressources Laboratories (DERlab e.V.) für die internationale Vernetzung, die Deutsche Energie-Agentur GmbH (dena), die vier deutschen Übertragungsnetzbetreiber sowie das Forum Netztechnik und Netzbetrieb (FNN) im VDE als die Netzanschlussregeln definierende Institution.

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Beispiel im Megawatt-Bereich (Mittelspannung) für einen netzbildenden Stromrichter, der auch Momentanreserve für die Stabilisierung des Stromnetzes liefern kann: SMA Sunny Central Storage, Stromrichtersystem mit aufeinander abgestimmten Komponenten (Wechselrichter, Mittelspannungstransformator, Mittelspannungsschaltanlage) für Inselsysteme und Verbundnetze. Foto: © SMA Solar Technology AG

Kontinentaleuropäisches Verbundnetz im Blick

Die neuen Regelungsverfahren und ihr stabilisierender Einfluss wurde unter Extremszenarien, wie z.B. einem System-Split – d.h. einer Netzauftrennung quer durch Europa – simulativ bewertet. Starke Spannungseinbrüche wurden nicht nur berechnet, sondern auch im Labor nach bestehenden Standards durchgeführt. Eine besondere Herausforderung für die netzbildenden Stromrichter sind den Projektpartnern zufolge geeignete und extrem schnelle Strombegrenzungsverfahren. Die Forscherteams konnten nachweisen, dass sogar unter solch herausfordernden Bedingungen ein Beitrag zur Netzbildung geleistet werden könne.

Netzbildende Eigenschaften werden mittlerweile auch schon von Anlagen mit sehr großen Stromrichtern gefordert, welche z.B. zur Blindleistungskompensation im Übertragungsnetz oder in Kopfstationen der Hochspannungs-Gleichstromübertragung (HGÜ) eingesetzt werden. Zudem soll das Projekt einen Beitrag leisten, wie diese Anforderungen künftig in den technischen Anwendungsregeln für Erzeugungsanlagen abgebildet werden können. Bei alldem berücksichtigen die Projektpartner auch die internationale Perspektive, da das deutsche Stromnetz in das kontinentaleuropäische Verbundnetz eingebettet ist.

Zentrale Forschungsfragen des Projektes

Auf der Abschlusskonferenz fasst Philipp Strauß die Ergebnisse zu den Forschungsfragen zusammen: „Im Projekt wurden netzbildende Regelungsverfahren mit optimierten Strombegrenzungsverfahren weiterentwickelt. Eine räumliche Verteilung der netzbildenden Anlagen ist notwendig und Momentanreserve kann im Übertragungs- und im Verteilungsnetz bereitgestellt werden. Neue Verfahren zur Inselnetzerkennung wurden entwickelt. Batteriesysteme, Windenergieanlagen, Photovoltaik-Anlagen, rotierende Phasenschieber, Statcoms und elektrische Lasten u.a. können mit den neuen Regelungsverfahren netzbildend wirken. Ein reines Stromrichternetz durch netzbildende Regelung ist möglich und der nahtlose Übergang mit unterschiedlichen Anteilen an Synchronmaschinen ist realisierbar. Eine Spezifikation und neue Prüfverfahren wurden entwickelt u.a. für die elektrische Trägheit, Netzbildung und Dämpfung.”

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Beispiel im Kilowatt-Bereich (Niederspannung) für einen netzbildenden Stromrichter, der auch Momentanreserve für die Stabilisierung des Stromnetzes liefern kann: RICOSO Stromrichter des Fraunhofer IEE, Rapid Prototyping für Regelungsverfahren von Stromrichtern. Foto: © Fraunhofer IEE

Zusammenspiel zwischen Stromrichtern und Synchrongeneratoren

Ein zentrales Thema ist dabei das Zusammenspiel von Stromrichtern und Synchrongeneratoren. So analysierten die Partner, in welcher Kombination und auf welcher Spannungsebene Synchrongeneratoren sowie stromeinprägend geregelte oder spannungseinprägend geregelte Stromrichter nötig bzw. zulässig sind, um die Systemstabilität zu wahren. Zudem bewerteten die Experten die Spannungsqualität in den verschiedenen Arbeitspunkten des zukünftigen Systems vor dem Hintergrund, dass der Anteil der Synchrongeneratoren mit dem weiteren Ausbau der erneuerbaren Energien immer stärker variieren wird. In diesem Kontext untersuchten die Fachleute auch, welche Anforderungen an die Robustheit sich daraus für die spannungseinprägenden Regelungen ergeben. Nicht zuletzt befassten sie sich auch mit der Frage, inwieweit ein stabiles Systemverhalten auch bei einer vollständig stromrichterbasierten Erzeugung möglich ist. Damit leistet das Projekt einen wichtigen Beitrag, die deutschen Klimaschutzziele zu erreichen.

Weiterer Forschungsbedarf zu bestehenden technischen Herausforderungen

„Die Momentanreserve, die bisher aus den rotierenden Massen der konventionellen, fossilen Kraftwerke stammt und die Netzfrequenz des Energiesystems stabilisiert, kann auch effektiv dezentral durch netzbildende Wechselrichter in allen Spannungsebenen des Verteilnetzes erbracht werden“, erläutert Prof. Dr. Bernd Engel von der TU Braunschweig und führt aus. „In einem weiteren Forschungsprojekt wollen wir noch verbleibende technische Herausforderungen adressieren, wie zum Beispiel mögliche Leistungspendelungen zwischen den Wechselrichtern, die Kompatibilität mit vorhandenen Schutzgeräten und die Gefahr der ungewollten Inselnetzbildung.“ (ds)

www.iee.fraunhofer.de