10.06.24 – 1.200 GW Solar- und Windleistung warten in den USA auf eine Anschlussgenehmigung. Die Kölner envelio GmbH sieht Potenzial, die Prozesse zu beschleunigen und will in den US-amerikanischen Markt einsteigen. Wir sprachen mit Geschäftsführer Dr. Simon Koopmann.
Dr. Simon Koopmann, Geschäftsführer envelio GmbH (Foto: envelio GmbH
Herr Koopmann, warum nehmen Sie genau diese Region in den Fokus?
Getreu unserer Vision „Intelligente Netze für eine nachhaltige Zukunft weltweit“ verfolgen wir das Ziel, die netzseitigen Voraussetzungen für die globale Energiewende zu ermöglichen. Während wir in Europa bereits sehr erfolgreich tätig sind, haben wir uns auch in anderen Märkten umgesehen und nach eingehender Analyse verschiedener Regionen das enorme Potenzial und die hohe aktuelle Dynamik des US-Marktes mit über 3.000 Netzbetreibern erkannt.
Welche Marktstrukturen findet man vor?
Die Netzbetreiber haben eine sehr unterschiedliche Größe, die Marktstruktur ist aber der deutschen durchaus ähnlich. Auch sehen wir eine stark wachsende Marktdynamik bei erneuerbaren Energien sowie bei neuen Verbrauchergruppen wie Ladepunkten. Durch eine starke industrielle Entwicklung in einigen Staaten oder die neuen Rechenzentren für den aktuellen KI-Boom steigt die Stromnachfrage. Der Inflation Reduction Act verstärkt diese Entwicklungen zusätzlich. Die US-Wirtschaft ist also mehr denn je auf moderne und leistungsfähige Netze angewiesen.
Und wie unterscheidet sich die Netzinfrastruktur von den hiesigen Stromnetzen?
Im Vergleich zu Deutschland sind die Netze in den USA häufig deutlich älter und historisch weniger stark ausgelegt. Damit gibt es vielerorts bereits heute nur relativ geringe freie Netzkapazitäten. Viele Netze sind zudem sehr weitläufig und dominiert von Freileitungen. Regelmäßig werden auch einphasige Netzabgänge und Hausanschlüsse genutzt, was zu zusätzlichen Herausforderungen durch stark asymmetrisch belastete Netze führen kann. Damit die Energiewende dennoch gelingen kann, sind detaillierte Simulationen des Netzbetriebs und kreative Netzanschlusskonzepte unerlässlich.
Wo stehen die USA beim Ausbau der erneuerbaren Energien?
Jedes Jahr zeichnet BloombergNEF drei Unternehmen aus, deren Technologien dazu beitragen, zentrale Herausforderungen auf dem Weg zu einer Net Zero Economy zu bewältigen. In diesem Jahr wurde envelio in der Kategorie „Challenge 1: Relieving bottlenecks in the deployment of clean power“ ausgewählt.
Die USA sind für etwa 13 Prozent der weltweiten CO2-Emissionen verantwortlich. Somit ist auch dort ein massiver Ausbau der erneuerbaren Energien notwendig. Insgesamt ist die Energiewende in vielen Bundesstaaten noch nicht so weit fortgeschritten wie in Deutschland, wobei es regional durchaus Unterschiede gibt. Eine zentrale Herausforderung besteht derzeit darin, dass mehr als 1.200 Gigawatt Solar- und Windleistung auf einen Anschluss an das Stromnetz warten. Das ist ungefähr das 65fache der Solar- und Windleistung, die 2023 in Deutschland installiert war. Diese enorme „Interconnection Queue“ – also die Warteschlange von PV- und Windkraftanlagen bei der Netzanbindung – verdeutlicht den hohen Nachholbedarf, den die USA hinsichtlich der Netzinfrastruktur und Netzdigitalisierung haben.
Also, ein klassischer Anwendungsbereich für Ihre Intelligent Grid Platform (IGP)?
Es gibt verschiedene Bereiche, in denen die IGP wichtige Unterstützung leisten wird. Vor dem Hintergrund der immensen Interconnection Queue ist die Automatisierung von Anschlussanfragen mit Hilfe der IGP sicherlich einer der entscheidenden Faktoren, um die Integration erneuerbarer Energien in den USA voranzutreiben. Auf der anderen Seite können Netzbetreiber durch zeitreihenbasierte Netzstudien und Netzsimulationen den dringend notwendigen Netzausbau in den USA möglichst effektiv und proaktiv umzusetzen. Der Aufbau unseres Digitalen Zwillings in der IGP ermöglicht es den Netzbetreibern, die vorhandenen Netzkapazitäten durch automatisiertes Management von Netzmodellen bestmöglich zu identifizieren, transparent zu machen und zu nutzen. (pq)