13.05.2022 – Mit einer konsequenten Datenerfassung will die ED Netze GmbH die Planung und den Betrieb der Niederspannungsnetze optimieren. Intelligente Messtechnik und Data Analytics sind zentrale Bausteine der Strategie.
Die Energiewende gewinnt aktuell an Dringlichkeit und an Dynamik. Sie ist und bleibt jedoch eine enorme Herausforderung für die Netzbetreiber. „80 Prozent des Stroms aus erneuerbaren Quellen, ein Zubau von 200 GW PV und 15 Millionen E-Autos bis 2030 – das sind Zahlen, die uns als Netzbetreiber im Süden sehr stark beschäftigen“, sagt Franziska Heidecke, Leiterin Digitalisierung und Innovation bei ED Netze. „Es ist ganz klar, dass wir das in den Verteilnetzen bald spüren werden. Zusätzliche Themen wie die Entwicklung des Wärmemarktes sind weitere Puzzleteile, mit denen wir uns auseinandersetzen.“ Bereits seit 2020 bereitet sich der badische Netzbetreiber aktiv auf die kommenden Veränderungen vor, insbesondere modernisiert und digitalisiert ED Netze kontinuierlich sein Niederspannungsnetz.
Daten für mehr Transparenz in der Niederspannung
Hohe Transparenz in der Niederspannung benötigt die ED Netze zum einen für eine auf Echtzeitdaten basierende strategische Netzplanung. „Um sicherzustellen, dass wir bestimmte Ausbauszenarien auf dem Weg bis 2030 nicht verpassen, brauchen wir quasi einen Temperaturfühler für die Netze“, erklärt Franziska Heidecke. „Wir wollen die Auswirkungen der Energiewende auf das Netz konkret erkennen, verstehen und einschätzen können. Das geht nur mit einer konsequenten Datenerfassung in der Niederspannung.“
Außerdem sollen anhand der Messdaten aus dem Netz auch die operativen Prozesse digitalisiert werden, um den täglichen Netzbetrieb und die operative Netzplanung präziser und effizienter zu machen. So will man die Kolleg*innen im Feld konkret unterstützen, sodass diese schneller reagieren und Schaltungen oder Wartungsarbeiten besser priorisieren können.
Smarte Messtechnik: Messdaten per Mobilfunk an IoT-Plattform übertragen
Aus diesem Grund investiert ED Netze in die Digitalisierung des Niederspannungsnetzes. Als Partner entschied man sich für SMIGHT und die IoT-Lösung SMIGHT Grid. Die Sensorik kann in weniger als einer Stunde vom eigenen Personal in bestehende Ortsnetzstationen (ONS) eingebaut werden. Die Messdaten werden sicher per Mobilfunk an die IoT-Plattform SMIGHT IQ übertragen. Dem Anwender stehen die aufbereiteten Daten in einem Web-Portal zur Verfügung.
Im Frühjahr 2021 hat ED Netze 180 ONS im Netzgebiet Donaueschingen mit SMIGHT-Sensorik ausgestattet, um Erfahrungen hinsichtlich Einbauprozess und Umgang mit dem System zu sammeln. Auch die operativen Prozesse im Hintergrund wurden entsprechend aufgebaut. Tatsächlich konnte man fast die vollständige Installation in den 180 Stationen in nur sechs Wochen realisieren. Für Oliver Deuschle, CEO von SMIGHT, ist das eine Bestätigung: „Während der Entwicklung unserer Lösung stand klar im Vordergrund, dass diese optimal zu den Abläufen der Monteure im Betrieb passen muss“, erläutert er. „Gerade wenn es um den Rollout in großen Netzgebieten geht, muss der Einbauprozess schnell und einfach sein. Dass es bei ED Netze so flott ging, zeigt, dass unser Konzept aufgeht.“
Seither werden 1.000 Abgänge kontinuierlich gemessen, sodass der Netzbetreiber unter anderem abgangsscharfe Lastprofile erhält, mit denen Netzmodelle und -prognosen deutlich präziser werden. „Insbesondere die Netzmodelle können mit Hilfe der Echtzeitdaten validiert und kontinuierlich optimiert werden“, berichtet Franziska Heidecke. „Die Netzplanung bei ED Netze wird somit effizienter, genauer und auch die Kosten können optimiert werden.“
Strategie für den Rollout
Ein Rollout der Lösung auf das gesamte Netzgebiet ist somit der nächste logische Schritt. Mit Blick auf die rund 3.800 weiteren ONS im Netzgebiet der ED Netze sollte jedoch vorab analysiert werden, an welchen Punkten im Netz der Einsatz von Messtechnik die größten Mehrwerte liefert. Eine Messstrategie sollte erarbeitet werden, die idealerweise konkrete Einbauempfehlungen liefert. An diesem Punkt kam das Analytics-Unternehmen enersis aus der Schweiz ins Spiel. Zusammen hat man sich auf die Suche nach den entscheidenden Messstellen im Netz gemacht.
Umfassende Datenbasis für den Cluster-Ansatz
Auf dem Weg zu einer fundierten Messstrategie entschied man sich für einen sogenannten Clustering-Ansatz, bei dem ONS mit gleichen Eigenschaften oder Verhalten in Gruppen zusammengefasst werden. „Ein solcher Ansatz ist sowohl langfristig anwendbar als auch kosteneffizient“, erläutert Paula Oberfeier, Data Engineer bei enersis.
Die Grundlage für das Clustering schuf eine Integration und umfangreiche Analyse der bei ED Netze vorhandenen Daten. Um eine möglichst breite Sicht auf die Situation im Netz zu gewinnen, flossen dabei sowohl technische Aspekte aus dem GIS und den Stammdaten als auch kaufmännische Informationen aus SAP IS-U ein. „Die vorgenommene Verheiratung von GIS und SAP IS-U zu einer gemeinsamen Datenbasis war ein wirkliches Highlight im Projekt“, betont Paula Oberfeier. Bereits diese Datenzusammenführung sorge beim Netzbetreiber für eine deutliche Verbesserung der internen Datenbasis, die für Netzwirtschaft und Netzplanung verwendet wird. „Diese ermöglicht ED Netze eine Sicht von der ONS über die verknüpften Objekte bis hin zum Hausanschluss inklusive der jeweiligen Tarife.“
Ergänzend stellte enersis außerdem externe statistische Daten bereit, die Themen wie E-Mobilität, PV-Potential aber auch sozio-demographische Merkmale berücksichtigen. „Diese Daten erweitern die Beschreibung des Ist-Zustands und erlauben eine Bewertung, an welchen Trafos in Zukunft am ehesten eine erhöhte Dynamik zu erwarten ist“, erklärt die Datenexpertin. Alle Informationen wurden im GRIDS Analytics Tool von enersis gebündelt und bilden den ED Netze Daten-Pool, der insgesamt 2.413 ONS und 82.883 H-Anschlüsse umfasst.
Cluster-Analyse: Ortsnetzstationen näher charakterisieren
Generell stehen für ein Clustering verschiedene Ansätze und Methodiken zur Verfügung. Enersis entschied sich hier für eine übergeordnete Optimierungsfunktion, bei der nicht nur der Status quo, sondern auch zukünftige Entwicklungen im Netzgebiet berücksichtigt werden Dies geschieht über den sogenannten Dynamikfaktor (DF), den ein Algorithmus aus eigentlichen Netzdaten in Verbindung mit den oben skizzierten Zusatzinformationen errechnet.
Für die Ermittlung der ONS-Cluster wurden 19 definierte Merkmale (Features) ausgewählt, die die Stationen näher charakterisieren. Dazu gehören unter anderem Einspeise- und Verbrauchswerte, Stammdaten, PV-Potential und E-Mobilitätsprognosen. Auf Basis dieser Werte wurden zunächst im Rahmen der sogenannten Outlier Detection 39 ONS identifiziert, die sich in ihren Merkmalen deutlich von allen anderen Stationen unterscheiden. Diese wurden vom folgenden Clustering ausgeschlossen. Mit einem hierarchischen Clustering wurden aus den rund 2.400 ONS in Summe sieben Cluster gebildet, die sich vor allem durch unterschiedliche Dynamikfaktoren voneinander unterscheiden: Die zahlenmäßig größte Gruppe bilden Stationen mit geringer Bemessungsleistung und potenziell geringer Dynamik, gefolgt von Wohngebieten mit hohem Anteil an sehr gutem PV-Potential.
Generierung und Validierung der Einbauliste für die Ortsnetzstationen
Um nun eine Messstrategie und eine konkrete Einbauliste zu erstellen, wurde zunächst eine Annahme in Bezug auf die Messdichte getroffen. Im Team entschied man sich für einen Wert von zehn Prozent der Stationen, der ausreichen sollte, den Ist-Zustand abzubilden. Im konkreten Fall würde das die Ertüchtigung weiterer 250 ONS bedeuten, die anhand der erwarteten Dynamik und der Größe der Cluster ausgewählt wurden. „Das heißt konkret, dass große Cluster und Cluster mit einem hohen DF vermehrt mit Sensorik ausgestattet werden“, erläutert Paula Oberfeier. „Innerhalb der Cluster werden wiederum 15 Prozent der Messsysteme für Stationen mit dem höchsten DF verwendet. Die restlichen 85 Prozent werden gleichmäßig über das gesamte Gebiet verteilt.“ Mit einer finalen Datenanalyse wurden die so bestimmten 250 ONS mit den verbleibenden ONS im Netzgebiet hinsichtlich deren Merkmale verglichen. Damit konnte die Annahme einer Messdichte von 10 Prozent erfolgreich validiert werden.
ED Netze hält nun eine Liste in Händen, die nach Betriebsstützpunkten sortiert Messempfehlungen für die analysierten ONS enthält. Die Ergebnisse und Empfehlungen wurden von Experten bei ED Netze geprüft und bestätigt. Ergänzend wurden weitere 30 ONS ausgewählt, die ebenfalls gemessen werden sollen, so dass ED Netze insgesamt 460 ONS mit Messtechnik ausstatten wird. „Für uns bei ED Netze ist der nun vorliegende Plan ein großartiges Ergebnis. Wir haben ein gutes Gefühl und wissen, wo die Reise hingeht“, sagt Franziska Heidecke. „Uns war es sehr wichtig, auch die Expertenmeinung der Kolleg*innen einzuholen. So sind alle im Bilde und arbeiten auf ein gemeinsames Ziel hin.“
Ausblick & nächste Schritte
Sobald der Rollout der Messtechnik auf das gesamte Netzgebiet vollzogen ist, beginnt ein weiterer spannender Projektabschnitt, denn man kann die ermittelten Cluster mit Blick auf die getroffenen Annahmen untersuchen und validieren. Die Erkenntnisse können im nächsten Schritt für die Netzplanung genutzt werden, um Gebiete zu identifizieren, wo eine hohe Dynamik zu erwarten ist. Diese können dann entsprechend engmaschig beobachtet und frühzeitig Netzmaßnahmen geplant werden. Auch für den Netzbetrieb sollen die Messdaten unterstützend genutzt werden. Hierzu wird SMIGHT dem Netzbetreiber individuelle Reports zur Verfügung stellen. Dazu gehört etwa ein digitaler Stationszettel, der Auslastung, Maximalwerte und typische Verläufe beinhaltet.
Das Projekt ist eines der ersten seiner Art und verdeutlicht, dass die Kombination innovativer Ansätze und Lösungen – Analytics & KI Kompetenz und intelligente Messtechnik – sehr konkreten Nutzen stiften kann: Zusammen konnte man ED Netze eine konkrete Einbauempfehlung und aussagekräftige Daten-Dashboards übergeben. „Es war die richtige Entscheidung, dass wir Anfang 2021 den ersten Schritt gegangen sind und begonnen haben, unser Netz intelligent zu machen. Die Erfahrungen, die wir als Organisation bisher gemacht haben, sind unglaublich wertvoll“, resümiert Franziska Heidecke. „Digitalisierung ist eine Chance. Ich kann anderen Netzbetreibern nur empfehlen, sich innovative und flexible Partner ins Boot zu holen und Themen Schritt für Schritt anzugehen.“ (pq)
SMIGHT EnBW Energie Baden-Württemberg AG
Oliver Deuschle
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enersis suisse AG
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ED Netze GmbH
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