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Netzstabilität: Intelligenz im Koffer

17.08.2022 – Die Stadtwerke Kempen haben gemeinsam mit SAE IT-systems einen mobilen Fernwirkkoffer entwickelt, um mögliche Überlastungen im Niederspannungsnetz zu identifizieren.

Messkoffer Stadtwerke Kempen

Die Stadtwerke Kempen haben gemeinsam mit SAE IT-systems einen mobilen Fernwirkkoffer entwickelt. Foto: Stadtwerke Kempen GmbH

Als die heutigen Verteilnetze vor Jahren und Jahrzehnten geplant wurden, legte man die Anzahl der zu versorgenden Kunden, typische Lastprofile, statistische Gleichzeitigkeitsfaktoren und eine ausreichende Sicherheitsmarge zugrunde. Doch seither hat sich durch die Einspeisung aus erneuerbaren Energiequellen und die Zunahme neuer elektrischer Lasten bekanntermaßen einiges verändert. Da die genannten Einflüsse zum größten Teil auf das Niederspannungsnetz wirken, können dort schnell kritische Betriebszustände und Überlastungen entstehen, wie Reinhard Bretzke, Leiter Stromversorgung der Stadtwerke Kempen am Niederrhein, an einem Beispiel erläutert: „Nach den klassischen Planungs- und Betriebsgrundsätzen sind 40 Netzanschlüsse pro Kabel überhaupt kein Problem. Wird allerdings eine leistungsstarke Solaranlage angeschlossen, könnten 20 Hausanschlüsse schon zu viel sein.“ Sein Stellvertreter Gregor Ulschmidt ergänzt: „Ob unsere vorhandenen Betriebsmittel in der Niederspannung tatsächlich ausreichend dimensioniert sind, wenn Hausbesitzer eine PV-Anlage oder Gewerbebetriebe Ladestationen für die Mitarbeiter installieren wollen, wissen wir oft nicht mit Sicherheit.“

Echtzeitdaten erforderlich

Um Versorgungsproblemen vorzubeugen, müssten somit Aufgaben wie Störungserkennung und Fehlerortung, Netzqualitätsanalyse sowie perspektivisch auch Fernsteuerung oder sogar eine automatisierte Trennstellenverlagerung von den Ortsnetzstationen übernommen werden. Daher werden im Netzgebiet der Stadtwerke Kempen auch rund ein Drittel der insgesamt über 300 Stationen digitalisiert. Gleichzeitig stellt Bretzke aber klar: „Ein Rollout der stationären NS-Messung für alle Stationen würde für uns wirtschaftlich keinen Sinn machen und wäre vom organisatorischen Aufwand her gar nicht stemmbar.“ Auf der Suche nach einer Lösung reifte bei den Netzexperten im Kempen die Idee einer mobilen Messausrüstung, mit der sich die wichtigsten Parameter schnell und sicher überprüfen ließen. Damit, so Ulschmidt, könne man nicht nur Probleme an den Betriebsmitteln frühzeitig identifizieren, sondern gleichzeitig auch Anschlussanfragen von Kunden für Wallboxen oder PV-Anlagen effizienter bearbeiten.

Da man eine solche Lösung idealerweise mit der im Betrieb vorhandenen Technologie umsetzen und insbesondere die Messdaten nicht an eine Cloud, sondern in die eigene Leitstelle übertragen wollte, sprachen die Stadtwerke Kempen die SAE IT-systems an. „Wir arbeiten seit 2016 zusammen und sind absolut zufrieden“, betont Reinhard Bretzke.

Echtzeitwerte Abgaenge Leitsystem

Echtzeitwerte der einzelnen Abgänge stehen sofort im Leitsystem zur Verfügung. Foto: Stadtwerke Kempen GmbH

Fernwirkkoffer gemeinsam entwickelt

Der Kölner Technologiepartner fand schnell Interesse an der neuen Produktidee, wie Dipl.-Ing. Stephan Kerkhoff, Technischer Vertrieb Büro West, berichtet: „Praktisch alle Netzbetreiber stehen vor der Herausforderung, Transparenz in den unteren Spannungsebenen schaffen zu müssen, ohne gleich sämtliche Betriebsmittel mit stationärer Messtechnik ausstatten zu können.“ Ein geeignetes mobiles Tool gemeinsam mit Praktikern zu entwickeln, sei daher eine große Chance gewesen, die man gerne ergriffen habe.

Das Pilotprojekt startete und als Ergebnis konnte der Prototyp eines mobilen Messkoffers für die Niederspannung im Rahmen der SAE-Expertentage im Oktober 2021 vorgestellt werden. Das Herzstück der mobilen Lösung ist das Fernwirk-Gateway FW-5-GATE-4G mit drei PM-1-R Baugruppen (für Rogowski-Spule) und Schnittstellen für die direkte Anbindung an das Leitsystem per IEC-104 und LTE. Nach Auskunft von SAE können Strom und Spannung mit der mobilen Messstation theoretisch an bis zu zehn Eingängen einphasig oder mehrphasig gemessen werden.

Messkofer SAE IT-systems

Der Prototyp des Messkoffers befindet sich bei den Stadtwerken Kempen seit 2021 im Praxiseinsatz. Foto: SAE IT-systems GmbH & Co. KG

Testausrüstung bei Stadtwerken Kempen: Der „Gregor-Koffer“

In Kempen befindet sich die kompakte Testausrüstung, die nach dem Projektleiter Gregor Ulschmidt scherzhaft auch „Gregor-Koffer“ genannt wird, ebenfalls seit dem vergangenen Jahr im regelmäßigen Einsatz. Das Fazit ist rundum positiv: „Der Koffer ist einfach zu bedienen, die Messung und Datenübertragung funktionieren einwandfrei“, berichtet Michael Kairies, Administrator Sekundärtechnik bei den Stadtwerken Kempen.

Das Messintervall in Kempen beträgt pro Station vier Wochen mit einer Überwachung der Trafobelastung und der einzelnen Abgänge – fünf bis neun Niederspannungsabgänge werden pro Trafostation gemessen. „Die Echtzeitdaten sind von hohem Wert für uns“, berichtet Ulschmidt. So habe man beispielsweise im Zuge der Überprüfungen auf einer Leitung eine Stromstärke von 400 Ampère gemessen – also doppelt so viel wie zulässig – und dadurch ein nicht zulässiges Gerät in einem Gewerbebetrieb entdeckt, bevor ein Schaden entstand. Insbesondere im Zusammenhang mit Anschlussanfragen für Wallboxen und PV-Anlagen wurden so einige „Hotspots“ entdeckt, wo Über- beziehungsweise Unterspannungen im Netz drohen könnten. „So erkennen wir auch strategisch wichtige Ortsnetzstationen, wo es sinnvoll sein kann, eine stationäre NS-Messung aufzubauen und können umgekehrt auch Stationen ausschließen, die aktuell nicht nachgerüstet werden“, beschreibt Reinhard Bretzke.

Für die mittelfristige Planung werden die Daten im Leitsystem archiviert, um im Zuge der geplanten jährlichen Wiederholung der Messkampagne Entwicklungen zu erkennen und bei Bedarf stationäre NS-Messungen nachzurüsten.

Ausbaufähige Standardlösung

Das Gemeinschaftsprojekt mit den Stadtwerken Kempen nahm SAE zum Anlass, eine standardisierte Lösung zu erarbeiten, die auf der E-world erstmals vorgestellt wurde. „Unser Ziel war es, ein Ergänzungsprodukt zu entwickeln, das vielseitig und flexibel einsetzbar ist und den Bedürfnissen der unterschiedlichen Systeme und Anlagen unserer Kunden gerecht wird“, sagt Stephan Kerkhoff. Im Produktmanagement habe man dazu diverse Konzepte geprüft und Anforderungen gesammelt. „Der mobile Fernwirkkoffer soll nicht nur für temporäre Niederspannungsmessungen in Ortsnetz- oder Verteilerstationen eingesetzt werden, um bei der Erkennung und Analyse von Anomalien im Betrieb zu unterstützen, sondern auch in sonstigen mobilen oder stationären Anlagen, bei denen eine vorübergehende Überwachung nötig ist“, erläutert Kerkhoff. Darüber hinaus soll der mobile Fernwirkkoffer durch Messeinsätze bei der Planung und Validierung von baulichen Maßnahmen und als Unterstützung bei Inbetriebnahmen helfen.

Das Ergebnis ist ein Basisprodukt, welches durch spezifische Ergänzungen an die Anforderungen unterschiedlicher Einsatzbereiche angepasst werden kann. „So werden im Rahmen unseres Produktportfolios auch unterschiedliche Möglichkeiten der Kommunikation angeboten, wie beispielsweise 4G LTE, 450 MHz oder sogar eine VPN-Infrastruktur“, so Stephan Kerkhoff weiter. Weitere Ideen oder Anwendungsszenarien seien nach wie vor jederzeit willkommen. (pq)

www.sae-it.de
www.stadtwerke-kempen.de