Weitere Ergebnisse...

Generic selectors
Exact matches only
Search in title
Search in content
Post Type Selectors

Energiepreisbremsen: „Fühlen uns ein Stück weit allein gelassen“

23.02.2023 – Bei der Umsetzung der Strom-, Gas- und Wärmepreisbremsen konnte die IVU Informationssysteme GmbH nach eigenen Angaben alle Kunden rechtzeitig mit Kundeninformationsschreiben ausstatten. Die Auslieferung der einschlägigen Software-Updates stehe kurz bevor. Allerdings müssen sowohl Stadtwerke und Energieversorger als auch deren IT-Dienstleister dabei bislang ungekannte Herausforderungen bewältigen. Grund genug, bei den Protagonisten vor Ort nachzufragen. Bei der STWB Stadtwerke Bamberg GmbH war man bereit, sich zu äußern. Mit Stefan Ebel, Leiter Kundenservicemanagement, und Christian Folger, Fachbereichsleiter Verbrauchsabrechnung, sprach die Redaktion des IVU-Express (IE) über aktuelle Herausforderungen. Ebenfalls am Gespräch nimmt Christian Enste teil, Leiter energiewirtschaftliche Beratung bei der IVU Informationssysteme GmbH, Software-Implementierungspartner der STBW.

Die Energieversorger hierzulande erleben seit Monaten bisher unbekannte Herausforderungen. Wie nehmen Sie bei den Stadtwerken Bamberg die Situation rund um die Preisexplosion und die von der Bundesregierung beschlossenen Kostenentlastungshilfen für die Kunden wahr?

Ebel: Es hat sich im Jahr 2022 abgezeichnet, dass es bei der Energieversorgung zu erheblichen Preisanstiegen kommen wird. Durch die Präsenz des Themas in den Medien und die Brisanz der Auswirkungen für die Kunden und Unternehmen hat die Bundesregierung Hilfsmaßnahmen auf dem Weg gebracht. Das ist angemessen und richtig. Die Energieversorgungsunternehmen als Umsetzungspart zu benutzen, ist dagegen diskutabel. Leider sind Versorgungsunternehmen in der öffentlichen Wahrnehmung in die Rolle der Übeltäter geraten, auf die sich viel Kritik vereint. Dabei hat unsere Branche weder zu den Preisexplosionen an den Handelsmärkten in irgendeiner Weise beigetragen, noch wurde die Umsetzbarkeit der Maßnahmen durch diese auf den Weg gebracht.

Wir sind allerdings diejenigen, die damit umgehen und die Unterstützungsmaßnahmen umsetzen müssen. Dabei fühlen wir uns schon ein Stück weit allein gelassen. Denn kaum jemand scheint sich in der Bundesregierung Gedanken darüber gemacht zu haben, was es für Versorger und IT-Dienstleister technisch, organisatorisch und kommunikativ bedeutet, Soforthilfen und Energiepreisbremsen umzusetzen. Niemand redet über den gewaltigen Mehraufwand, die immense Belastung für die Teams und die zusätzlichen Kosten, die das verursacht. Hinzu kommen die finanziellen Herausforderungen in der Energiebeschaffung. Wenn im Großhandel plötzlich das bis zu Zehnfache bisheriger Preise aufgerufen wird, kann man sich vorstellen, dass es schwierig wird, beispielsweise mit Sicherheiten für die Vorfinanzierung der benötigten Energiemengen. Welche Dimensionen dies in der Kundenbetreuung erreichen kann, war bisher nicht denkbar gewesen.

Ist die Situation im Querverbundunternehmen nochmal besonders angespannt, weil Sie von Haus aus defizitäre Sparten mitfinanzieren müssen?

Stadtwerke Bamberg-IVU-Interview-Preisbremsen

Stefan Ebel (links), Leiter Kundenservicemanagement, und Christian Folger, Fachbereichsleiter Verbrauchsabrechnung, bei den Stadtwerken Bamberg. Rechts im Bild: Christian Enste, Leiter energiewirtschaftliche Beratung bei der IVU Informationssysteme GmbH. Foto: STWB Stadtwerke Bamberg GmbH / IVU Informationssysteme GmbH

Ebel: Ja, natürlich ist das so. Die Kostenexplosionen durch verteuerte Energie haben wir auch in den Bädern, die nicht von den Soforthilfemaßnahmen betroffen sind. Auch im ÖPNV registrieren wir immense Kostensteigerungen, die wir am Markt unmöglich refinanzieren werden können.

Trotzdem – und das ist vielleicht ein Lichtblick – scheint die Umsetzung der Dezember-Hilfen vielerorts geklappt zu haben. Auch bei den Stadtwerken Bamberg?

Folger: Ja. Wir hatten uns im Vorfeld intensiv mit den gesetzlichen Vorgaben beschäftigt, standen im engen Austausch mit Wilken und IVU. So haben wir relativ schnell erkannt und entschieden, dass es nur einen Weg geben kann, nämlich keine stadtwerkeeigene Sonderlösungen auszuprägen, sondern auf Basis der bereits eingesetzten Software Standardauswertungen aufzubauen. So konnten wir für den Gasbereich rechtzeitig den ersten Vorauszahlungsantrag bei der KfW stellen. Der pünktliche Zahlungseingang war der wichtige erste Schritt, Liquidität ins Haus zu bekommen. Dabei haben uns Wilken als Softwarehersteller und IVU beim Einrichten in der Finanzbuchhaltung und bei den Reports super unterstützt. Fehler konnten in kürzester Zeit behoben werden.

Die Qualität der „Berechnungsgrundlagen“ für die Soforthilfen wird sich nach der Erstellung der Jahresrechnungen herausstellen. Hier haben sicherlich auch die Firma Wilken und IVU noch ihre Hausaufgaben zu erledigen, um „transparenter“ in den Reports für Kundenrückfragen zu sein.

Inwieweit ist das, was Sie bei den Soforthilfen gemacht haben, eine Blaupause für das, was nun bei der Umsetzung der Preisbremsen auf der Agenda steht?

Folger: Wenn Sie im Oktober zu den Soforthilfen gefragt hätten, hätten wir gesagt: um Gottes Willen, was hat man sich da ausgedacht? Heute wissen wir: Die Soforthilfen waren im Verhältnis dazu ein Kinderspiel. Was mit den Preisbremsen auf uns zukommt, ist weit komplizierter, mit viel mehr Vorgaben behaftet, noch umfänglicher und in der verständlichen Aufbereitung im Außenverhältnis für den Kunden viel zu komplex. Am schlimmsten finden wir, dass es keinen Gleichklang – also ein Gesetz anstatt deren zwei – gibt, sondern pro Energieart auch noch unterschiedliche Herangehensweisen festgelegt wurden. Auch die Kunden sind natürlich längst sensibilisiert. Schon vor Weihnachten haben uns erste Anfragen erreicht: Wie wird es umgesetzt? Wie sieht es mit der Bemessungsgrundlage aus? Welchen Spareffekt hat es? Geschäftsführer von Firmen kommen schon auf uns zu, weil sie planen wollen. Wir als Stadtwerk können und wollen aber erst Auskunft geben, wenn die Verfahrensweise im Abrechnungssystem bekannt ist, und dann auch so, wie es das Gesetz vorschreibt.

Ebel: Wie gesagt, Strom- und Gas- bzw. Wärmepreisbremse müssen mit unterschiedlichen Verfahren abgebildet werden. Das passiert in einem bestehenden Abrechnungssystem, mit bestehenden Abrechnungszyklen und hinterlegter Preissystematik. Die Dinge sind so komplex, dass selbst die Spezialisten im Tagesgeschäft sich fragen, wie wir unseren Kunden das noch vermitteln sollen.

Was müssen und können Software-Hersteller und Prozessdienstleister tun, um die Herausforderung beherrschbar zu machen?

Folger: Es ist extrem wichtig, dass Wilken die Software entsprechend umbaut und IVU uns bei der Umsetzung der Prozesse unterstützt. Dabei dürfen die Entwicklungen im Tagesgeschäft, die im Rahmen der Regulierung betrieben werden, in keinster Weise vernachlässigt werden, sonst ist das Ganze einfach nicht mehr leist- und abbildbar.

Ebel: Das bewährte Zusammenspiel mit beiden Häusern macht es aus, dass man die Aufgaben mit einem über die Jahre aufgebauten, großen Vertrauen angehen kann. Beide Unternehmen haben ihre Expertise in dem, was sie tun, vielfach unter Beweis gestellt, und ergänzen sich als Gespann sehr gut. Was für beide Seiten zur maximalen Herausforderung wird, ist im Besonderen der Faktor Zeit.

Enste: Als IVU sind wir von Haus aus sehr nah an unseren Kunden. Oftmals klappt die Umsetzung sehr gut. Manchmal mit Abzügen in der B-Note aufgrund der immer schneller zu realisierenden regulatorischen Vorgaben. Am Ende kommen wir jedoch immer erfolgreich zum Ziel. Den Unterschied macht auch aus, wie intensiv sich die Stadtwerke mit diesen Themen beschäftigen. Je besser die Werke vorbreitet sind, desto einfacher ist die gemeinsame Implementierung. Man tauscht sich auf einem anderen Level aus und braucht in der Konsequenz weniger Troubleshooting. Klar, ein Großteil der Bringschuld liegt bei uns, aber wenn Stadtwerke sich auch engagiert einbringen – wie das bei den Stadtwerken Bamberg der Fall ist – macht das den Unterschied aus. Es läuft einfach besser.

Welche Vorbereitungen für die Preisbremsen konnten Sie treffen? Wo stehen Sie heute?

Folger: Wir haben uns parallel zu den Soforthilfen mit den Preisbremsen beschäftigt. Schon vor Weihnachten ging es mit den Gesetzesveröffentlichungen und Webinaren los. Wir arbeiten mit den Anwendungshilfen vom BDEW und sind auf dem Stand, den das Gesetz vorschreibt. Aktuell (Anfang Februar, Anmerkung. der Redaktion) erwarten wir mit Spannung die Auslieferung der implementierten Softwareergänzungen.

Ebel: Wir versuchen natürlich auch strukturell und organisatorisch einzugreifen. Das bedeutet, Mitarbeitende für die Aufgabenstellungen der Preisbremsen aus dem Tagesgeschäft zu lösen. Dies bedeutet aber auch, dass alle Mitarbeitenden deutlich über ihr ohnehin schon hohes Pensum noch mal zulegen müssen. Einfach ausgedrückt, heißt das, dass die persönliche Belastung an vielen Stellen nicht nur eine Grenzbelastung sein wird, sondern darüber hinausgeht. D.h. dann in aller Deutlichkeit auch mal, dass eben nicht mehr alle Kundenanfragen in der zur Verfügung stehenden Zeit befriedigt werden können.

Die Software ist technischer Dreh und Angelpunkt bei der Umsetzung der Preisbremsen?

Folger: Ganz klar. Die für die Vorauszahlungsanträge benötigten Mengen, Kundenzahlen und Preise müssen wir automatisiert abfragen können. Das wäre schon bei den Soforthilfen manuell nicht leistbar gewesen und wird es bei den Preisbremsen noch viel weniger sein. Die Fristen für die Energiearten sind ebenfalls unterschiedlich, und von daher muss alles parallel laufen.

Ebel: Da die Stadtwerke Bamberg als rollierender Abrechner organisiert sind, ist es auch in dieser Hinsicht speziell. Stichtagsabrechner haben die Soforthilfe bis zum 31.12.2022 umgesetzt. Die Gaspreisbremse wird nachgelagert in ihrer Stichtagsabrechnung implementiert, und die Umsetzung erfolgt letztendlich erst im Dezember 2023 mit der Jahresrechnung. Wir als Rollierer sind in einer speziellen Situation, weil wir bereits auf den Rechnungen, die wir ab Februar rollierend schreiben, die Soforthilfe sowie die Strom- und Gaspreisbremse ausweisen müssen. Das setzt Softwareentwickler und Stadtwerke noch mal besonders unter Druck.

Mit welcher Strategie und welchen Maßnahmen haben sie auf die besonderen Anforderungen in der Kundenkommunikation reagiert? Da dürfte auch eine Menge Druck auf dem Kessel sein.

Ebel: Die aktuelle Situation fordert die Stadtwerke natürlich in besonderem Maße. Wir sind schon 2022 durch die Vielzahl verunsicherter Kunden wie von einer Lawine überrollt worden. Die Zahl der Anrufe hat sich mehr als verdoppelt, die Zahl der E-Mails in der Spitze mehr als versechsfacht. Das haben wir in diesem Ausmaß vorher nie erlebt. Und wir können ja nicht einfach neues Personal an Bord holen. Die Themen sind viel zu komplex, als dass ein schnelles Onboarding möglich wäre. In Zeiten von Fachkräftemangel müssen wir mit den vorhandenen Ressourcen klarkommen und bei Ausfall natürlich auch nachbesetzen. Aber wir gehen auch andere Wege. Wir schätzen die Arbeit und Leistung der Kollegeninnen und Kollegen wert und schulen diese auch verstärkt auf Resilienz, um die Arbeitssituation ertragen zu können. Aus der Pandemie sind wir aggressiveres Verhalten, mehr Beschwerden und mehr Widersprüche gewohnt. Doch jetzt kommt die Verzweiflung der Kunden hinzu und auch Ängste der finanziellen Belastung nicht gewachsen zu sein.

Leider tragen die überregionalen medialen, größtenteils überzogenen Darstellungen ein Vielfaches zur Verunsicherung in der Bevölkerung bei. Innerhalb der Regierung ist man „gefühlt“ froh, mit den Energieversorgern einen Akteur gefunden zu haben, der völlig unverhältnismäßig sein Geschäft in Richtung Beschaffungsmärkten absichern und betreiben muss und in Richtung Kunde zugleich als „Erklärbär“ und „Schwarzer Peter“ herhalten muss. Die Abwicklung dieser kurzfristigen Maßnahmen im Hintergrund haben wir ja skizziert. Von daher sind wir permanent dabei, die Strategie zu prüfen, sowie diese entsprechend zu überarbeiten und an die aktuelle Situation anzupassen.

Enste: Das sind wirklich gewaltige Steigerungsraten, wenn man sich klarmacht, dass die Kundenbetreuungs-Teams vorher ja auch schon ausgelastet waren. Bei uns steigt die Zahl der Anfragen ebenfalls enorm. Nur sehen wir uns nicht mit existentiellen Fragen und persönlichen Schicksalen von Menschen konfrontiert, die ihre Rechnungen nicht mehr bezahlen können.

Wie hilft Software bei der Kundenbetreuung?

Ebel: Grundsätzlich dokumentieren wir jede Kundenanfrage im CRM-System. Was über das Kundenportal und per Mail hereinkommt, wird automatisiert abgelegt. Bei telefonischen Anfragen müssen die Mitarbeitenden das natürlich manuell erfassen. Wir spüren zum ersten Mal, was andere Unternehmen schon vorher erlebt haben: Die Servicekultur wird sich verändern. Man wird zunehmend stärker begrenzte Services im persönlichen und telefonischen Bereich benötigen, um allen Kundenanfragen gerecht werden zu können, die dann noch stärker über die digitale Welt der Kommunikation – also Email und Portale – zu bearbeiten sein werden. Für die Strom- und Gaspreisbremsen heißt das: Diese wirken sich für jeden Kunden individuell anders aus, und dennoch werden wir nicht jedem einzelnen Kunden vollumfänglich erklären können, wie die Entlastung sich für ihn darstellt. Das wird noch ein spannender Prozess.

Ist es für die Stadtwerke Bamberg ein Vorteil, mit Wilken und IVU zwei Partner zu haben, einen auf der Softwareseite und einen auf der Implementierungs- und Prozessausgestaltungsseite?

Ebel: Ja, auf jeden Fall. Der Software-Entwickler konzentriert sich darauf, die Vorgaben der Gesetzgebung stringent umzusetzen. Die IVU schaut stärker durch die Kundenbrille und auf unsere spezifischen Bedürfnisse. Das ergibt in der Praxis ein gutes Zusammenspiel, das zudem über viele Jahre in persönlichen Kontakten erprobt wurde und sich bewährt hat. Wenn wir uns mit benachbarten Stadtwerken unterhalten, bestätigt sich, dass wir mit unseren Partnern – gerade auch in der aktuellen Situation – sehr gut aufgestellt sind.

Enste: Ich kann es nur noch einmal wiederholen: Es ist ein partnerschaftliches Miteinander, ein Geben und Nehmen. Aktuell glühen die Drähte zwischen Ulm und Norderstedt. Momentan beschäftigen sich allein bei uns drei Kollegen ausschließlich damit, die Funktionen zur Abbildung der Preisdeckel vollumfänglich zu testen. Hinzu kommt der sehr enge Zeitplan, was die Ausgangslage für uns alle nicht einfacher macht. Insofern bleibt uns in dieser Situation gar nichts anderes übrig, als die ohnehin schon gute Partnerschaft zu Wilken und das Vertrauen zu unseren Kunden auf eine noch höhere Ebene zu bringen.

Ebel: Wir bleiben optimistisch und werden den Kopf nicht in den Sand stecken. Wir sind es im regulierten Markt seit Jahrzehnten gewohnt, immer wieder Prozesse und Formate zu verändern, oft viele Dinge parallel erledigen zu müssen. Was wir aktuell erleben, ist gleichwohl eine neue Dimension. Als Speerspitze in den Versorgungsunternehmen wollen wir aber auch dieser Verantwortung gerecht werden.

www.stadtwerke-bamberg.de
www.ivugmbh.de