16.09.2024 – Eine neuartige cloudbasierte Komplettlösung für Energievertriebe steht bei der Wilken Software Group kurz vor der Marktreife. Der interne Projektname „Lighthouse“ ist Programm – das wird im Gespräch mit Tobias Mann aus der Wilken-Geschäftsleitung deutlich.
Das Commodity-Geschäft proaktiv zu sichern und neue Geschäftsmodelle an den Markt zu bringen, ist für Energieversorger heute dringender denn je. Doch steigende Kundenerwartungen, hoher Wettbewerbs- und Kostendruck, umfangreiche und zunehmend komplexe regulatorische Anforderungen sowie nicht zuletzt ein Mangel an qualifizierten Fachkräften machen diese Aufgaben nicht eben leichter.
Das beobachten natürlich auch Tobias Mann und seine Kolleg:innen von der Wilken Software Group im Kontakt mit ihren Versorgungskunden. „Unsere Lösungen sind bei über 400 Versorgern und Stadtwerken im Einsatz, da bekommt man schon mit, wo der Schuh drückt“, berichtet der Chief Customer Officer (CCO). Vor allem fehlte es den Versorgern an Zeit und Ressourcen. Standardprozesse sind oft aufwändig und teuer, Projekte dauern lange und in der Summe bleibt wenig Raum für notwendige Innovationen. Nach seiner Erfahrung ärgert das viele Verantwortliche in den Unternehmen.
„Und da muss man als IT-Anbieter, der dieser Branche verbunden ist, schon einmal genauer hingucken und auch über die eigenen Angebote nachdenken“, findet Tobias Mann. Diese Aussage erstaunt zunächst, denn objektiv gibt es bei der Wilken Software Group keine dringende Notwendigkeit, die Produktstrategie zu hinterfragen. Das bestätigt auch der Wilken-Manager: „Unsere Kunden sind mit unseren Lösungen sehr erfolgreich und sehr zufrieden“, führt er aus. Selbst große Herausforderungen wie die Preisbremsen habe man pünktlich umgesetzt. Auch über mangelnde Nachfrage könnten sich die Ulmer nicht beklagen und wollen auch weiterhin in bestehende Produkte wie Wilken ENER:GY und die NTS.suite investieren. „Aber das heißt ja nicht, dass wir es nicht noch besser machen können.“
„Lighthouse“
Mit einer großen Vision startete vor gut drei Jahren ein ehrgeiziges Projekt: Ein über 50-köpfiges Team der Wilken Software Group arbeitet seitdem unter dem Projektnamen „Lighthouse“ an einer komplett neu entwickelten Plattform für die Energiewirtschaft. „Wir sind hier wirklich auf der sprichwörtlichen grünen Wiese gestartet – mit einer völlig neuen Philosophie, sehr agilen Methoden und einem vollständig Cloud-nativen Entwicklungsansatz“, erinnert sich Tobias Mann. Kunden und Fachleute aus der Branche waren von Beginn an eng eingebunden, haben Anregungen gegeben, getestet und evaluiert. Tobias Mann: „Die Software wurde entwickelt, um durch einen hohen Automatisierungsgrad die Betriebskosten von Energieversorgern drastisch zu senken und Unternehmen in die Lage zu versetzen, schnell auf den akuten Fachkräftemangel und aktuelle Marktentwicklungen zu reagieren. Klarer Anspruch ist es, auch größere Energieversorger anzusprechen, die mit ihren bestehenden Lösungen an ihre Grenzen stoßen.“
Kosten senken, Personal entlasten
„Wir hatten uns von Beginn an auf die Fahnen geschrieben, die zentralen Kosten- und Zeitschrauben ganz konsequent herunterzudrehen“, berichtet der Wilken-CCO. Konkret hatte das Entwicklungsteam hier zum einen die händische Erledigung von Standardaufgaben im Blick – von der Datenerfassung und -pflege bis hin zur persönlichen Beantwortung einfacher Kundenanfragen. Tatsächlich zeigen Prozesskostenanalysen von Wilken, dass gerade diese Aufgaben, die typischerweise im Kundenservice anfallen, den größten Kostenblock in Energieversorgungsunternehmen darstellen. „Qualifizierte Kundenberater und -beraterinnen sollten für qualifizierte Kundenkontakte eingesetzt werden und nicht dazu, Stammdaten abzufragen und händisch in Systeme einzupflegen“, findet Tobias Mann. Zum anderen soll die neue Lösung dazu beitragen, die Kosten für IT-Integration, -Pflege und -Anpassung auf ein Minimum zu reduzieren. Es könne nicht sein, dass für die Umsetzung regulatorischer Änderungen, die Anbindung eines neuen Systems oder die Entwicklung einer Kunden-App ein Stab an IT-Beratern benötigt würde.
Vor der Markteinführung
Die auf einem völlig neuen Code basierende Software steht inzwischen kurz vor der Einführung – zunächst für die Marktrolle Lieferant. Geplant ist der Launch für die E-World 2025 und bislang ist natürlich nur wenig zu erfahren. Wie Tobias Mann berichtet, integriert das neue Produkt alle Kernbereiche des modernen Energievertriebs, darunter Vertrieb, Marktdatenaustausch, CRM, Abrechnung und Nebenbuchhaltung. „Lighthouse erfordert geringe Anfangsinvestitionen, das Onboarding dauert drei Minuten“, verrät er darüber hinaus. Die Lösung ist schnell skalierbar und kann bestehende Vertriebslösungen einfach und schnell ersetzen oder ergänzen und in dieser Rolle parallel zu bestehenden Legacy-Systemen wie SAP, Powercloud, Schleupen, SIV, Wilken und anderen eingesetzt werden. Eine „Ablösung“ bestehender Systeme und der damit verbundene Aufwand entfallen somit.
Hoher Automatisierungsgrad
Ein wesentliches Merkmal der innovativen Lösung ist die Verwendung von Standards, die gerade in Cloud-Umgebungen eine hohe Automatisierung ermöglichen. Prozesse können dadurch extrem beschleunigt und Kosten gesenkt werden. So werden Best-Practice-Prozesse für alle relevanten Abläufe im Vertrieb Out-of-the-box geliefert und können einfach implementiert werden. „Auch in der Energiewirtschaft setzt sich inzwischen die Erkenntnis durch, dass man nicht in jedem Unternehmen das Rad neu erfinden muss“, berichtet Tobias Mann. Dennoch soll „Lighthouse“ auch die notwendige Differenzierung der Energievertriebe unterstützen – etwa durch sehr umfangreiche Produktbaukästen, aus denen sich jeder Versorger beispielsweise den passenden fixen, flexiblen, zeit- oder mengengebundenen Tarif einfach auswählen kann. Durch Standardintegrationen von Plattformen wie Check24 und Verivox können neue Produkte von heute auf morgen vermarktet werden. „Go-to-Market-Strategien können durch ein selbstkorrigierendes IT-System umgehend realisiert werden“, fasst Mann zusammen.
Alle Prozesse werden in der Lösung durchgängig einschließlich der integrierten Partnersysteme abgebildet und können ebenfalls ohne tiefergehende IT-Kenntnisse an die individuellen Erfordernisse angepasst werden. „Lighthouse verfügt über eine durchgängige Prozesskette, die über simple Schnittstellen hinausgeht“, erläutert Mann. Durch die Anbindung an die Cloud können regulatorische Anforderungen dabei schnell umgesetzt und Anwendungen in hohem Maße skaliert werden.
Lösungsintelligenz
Insbesondere die Datenbeschaffung und -validierung soll durch die Lösungsintelligenz der Software so weit optimiert werden, dass operative Aufgaben nicht mehr manuell abgewickelt, sondern automatisierte Prozesse nur noch effizient überwacht werden müssen. Ein kleiner Bot unterstützt die Anwender:innen bei allen operativen Schritten. KI-basierte Prozesse kommen auch zum Einsatz, um insbesondere den Kundenservice zu entlasten. Sie übernehmen in „Lighthouse“ beispielsweise die Abklärung und Bewertung des Anliegens, führen die Authentifizierung durch, ergänzen fehlende Daten, nehmen Zählerstände entgegen und führen die Informationen automatisch in die jeweiligen Systeme ein. Auch einfache Anfragen beantwortet der digitale Servicemitarbeiter automatisch. „Ich möchte noch nicht zu viel verraten“, sagt Tobias Mann, „aber im Kundenkontakt ist Lighthouse wirklich ein positives Aushängeschild des Versorgers“.
Praxistests bestanden
Für die anstehende Produkteinführung ist natürlich noch das eine oder andere zu tun. So muss zum Beispiel ein Name für das Produkt gefunden werden, denn „Lighthouse“ ist – Stand heute – nur ein Arbeitstitel. Ansonsten ist man bei Wilken zuversichtlich, denn die Lösung hat längst das Labor verlassen und wurde gemeinsam mit mehreren Kunden auch in realen Marktsituationen getestet: Mit Erfolg, wie Tobias Mann berichtet: In einem Pilotprojekt wurde innerhalb von nur wenigen Wochen ein komplett neues Stromprodukt auf den Markt gebracht. (pq)