27.02.2024 – In einer neuen Studie untersucht der Bitkom die Klimaeffekte digitaler Technologien. Diese könnten erheblich sein – speziell im Energie- und Gebäudesektor.
Windräder, die mithilfe von Sensoren ihre Rotorblätter optimal an die Windstärke anpassen, Felder, die auf Basis von Satellitendaten sparsamer gedüngt werden, Fabriken, die dank KI hocheffizient produzieren und dabei Energie einsparen: Digitale Technologien könnten wesentlich dazu beitragen, dass Deutschland seine Klimaziele im Stichjahr 2030 erfüllt. Der neuen Bitkom-Studie „Klimaeffekte der Digitalisierung“ zufolge könne der jährliche CO2-Ausstoß in Deutschland 2030 um rund 73 Millionen Tonnen reduziert werden, sofern die Digitalisierung beschleunigt wird. Dabei handelt es sich um einen Netto-Effekt, bei dem die CO2-Emissionen durch die Nutzung dieser Technologien, etwa von Rechenzentren und Endgeräten bereits berücksichtigt sind. „Die Digitalisierung kann fast ein Viertel zu Deutschlands selbstgesteckten Klimazielen im Jahr 2030 beitragen“, sagt Bitkom-Vizepräsidentin Christina Raab anlässlich der Vorstellung der Studie. Schreitet die Digitalisierung nicht beschleunigt, sondern im bisherigen Tempo fort, lassen sich im Jahr 2030 Einsparungen von rund 50 Millionen Tonnen CO2 erzielen – das entspricht 16 Prozent der Zielvorgabe. 2022 lag Deutschlands CO2-Ausstoß noch bei 746 Millionen Tonnen, 2023 laut Prognose bei 673 Millionen Tonnen, 2030 soll er lediglich 438 Millionen Tonnen betragen.
Netto-Einsparung in drei Szenarien
Die Bitkom-Studie „Klimaeffekte der Digitalisierung“ wurde von von Accenture durchgeführt. Dabei wird anhand dreier Projektionen zum künftigen CO2-Austoß untersucht, welchen CO2-Effekt der Einsatz digitaler Lösungen in den besonders relevanten Sektoren Energie, Gebäude, Industrie, Verkehr und Landwirtschaft hat. Die CO2-Emissionen für den den Betrieb der Technologien, aber auch von Endgeräten wie Bildschirmen, Computern oder Tablets sowie der Betrieb der Netzinfrastruktur und der Rechenzentren wurden ebenfalls in drei Szenarien berechnet und von den prognostizierten Einsparungen in Abzug gebracht: Wird die Digitalisierung beschleunigt vorangetrieben, wird der CO2-Fußabdruck der digitalen Technologien in den fünf Sektoren im Jahr 2030 in der mittleren der drei betrachteten Projektionen bei 3,8 Millionen Tonnen liegen. Setzt sich die Digitalisierung im bisherigen Tempo fort, liegt er bei 2,1 Millionen Tonnen.
Energiesektor profitiert am meisten
Im Energiesektor entfalten digitale Technologien das größte CO2-Einsparpotenzial. Hier lassen sich bis zu 26,4 Millionen Tonnen CO2 bei einer beschleunigten Digitalisierung und 24,5 Millionen Tonnen CO2 bei einer Standard-Digitalisierung im Jahr 2030 einsparen. Ausschlaggebend sind hier zum einen Smart Grids, also intelligente Stromnetze, in denen Stromerzeugung und -verbrauch präzise gesteuert werden können. Sie nutzen Sensoren, Smart Meter und Echtzeit-Datenverarbeitung, um Angebot und Nachfrage nach Energie dynamisch auszugleichen. Zum anderen liegt hohes Einsparpotenzial in der smarten Produktion erneuerbarer Energien. Mithilfe digitaler Technologien werde die Energiegewinnung aus erneuerbaren Quellen zuverlässiger und effizienter. So könnten etwa bei Solaranlagen die Paneele je nach Sonneneinstrahlung durch den Einsatz intelligenter Steuerungssysteme und Algorithmen optimal ausgerichtet und geneigt werden. Windräder können so die Windgeschwindigkeiten und -richtungen analysieren und die Position und Winkel ihrer Rotorblätter anpassen.
Auf dem zweiten Platz liegt der Gebäudesektor: Ein Zuhause, das die Heizkörper automatisch herunterstellt, wenn ein Fenster geöffnet wird, ein Büro, das die Klimaanlage je nach Wetterverhältnissen und Anzahl der anwesenden Personen intelligent regelt: Smart Homes und intelligente, vernetzte Gebäude können viel Energie einsparen. Bei einer Standard-Verbreitung smarter Gebäudetechnologien im privaten und gewerblichen Umfeld können laut Bitkom-Studie in 2030 rund 12,4 Millionen Tonnen CO2 eingespart werden. Bis zu 18,3 Millionen Tonnen sind es, wenn die Verbreitung smarter Technologien beschleunigt vorangetrieben wird.
In der industriellen Fertigung lassen sich bis zu 12,7 Millionen Tonnen CO2 bei einer beschleunigten Digitalisierung im Jahr 2030 einsparen – und 5,6 Millionen Tonnen bei einem Standard-Digitalisierungstempo. Eine maßgebliche Technologie ist zum einen die Automatisierung in der Produktion, bei der Anlagen und Maschinen, Werkstücke und ihre Bauteile miteinander vernetzt sind und Prozesse selbstständig unter möglichst geringem Material- und Energieeinsatz ablaufen. Zum anderen sorgt der sogenannte Digitale Zwilling für erhebliche CO2-Einsparungen: Diese virtuellen Abbilder von kompletten Produktions- und Betriebszyklen machen es möglich, dass Verfahren zunächst am digitalen statt am realen Objekt durchgeführt werden – so können massiv Material, Energie und Ressourcen gespart werden.
Im Verkehrssektor könnten bei einer beschleunigten Digitalisierung bis zu 9,3 Millionen Tonnen CO2 und bis zu 3,5 Millionen Tonnen CO2 bei einer Digitalisierung im derzeitigen Tempo im Jahr 2030 eingespart werden. Potenziale liegen vor allem in einem digitalen Verkehrsnetz und einer digitalen Verkehrsoptimierung, bei der etwa Sensoren an der Straße oder GPS-Systeme in Autos Echtzeit-Daten liefern, mit denen Ampeln geschaltet, Verkehrsströme umgeleitet oder öffentliche Transportmittel verstärkt werden können. Bis zu 5,5 Millionen Tonnen CO2 können auf diese Weise eingespart werden. Eine smarte Logistik, die Leerfahrten von Lkws vermeidet und Frachtrouten optimiert, ist ebenfalls ein bedeutender Hebel.
In der Landwirtschaft könnte der Einsatz digitaler Technologien bis zu 6 Millionen Tonnen CO2 bei einer beschleunigten und bis zu 3,5 Millionen Tonnen CO2 bei einer Standard-Digitalisierung einsparen.
„Digitaler Klimaschutz ist eine riesige Chance für die deutsche Wirtschaft. Die Unternehmen erhalten und steigern so ihre Wettbewerbsfähigkeit und sparen gleichzeitig CO2 ein“, sagt Bitkom-Vizepräsidentin Christina Raab. „Unternehmen, die noch keine Digitalstrategie haben, sollten sie umgehend aufsetzen und im Top-Management verankern. Vor allem: Die Unternehmen sollten ihre Klima- und Nachhaltigkeitsstrategie mit der Digitalisierungsstrategie eng verzahnen.“ Auch die Politik sei gefragt, insbesondere kleinere und mittlere Unternehmen mit Beratungsangeboten und Förderprogrammen wie „Digital jetzt“ zu unterstützen.
Die Studie steht auf den Seiten des Bitkom zum Download bereit. (pq)