26.07.2024 – Gemeinsam mit Audi und dem Unternehmen IE2S testet TransnetBW eine neue Möglichkeit der Nutzung von dezentralen Flexibilitäten aus Elektrofahrzeugen. Der Clou: Das Ganze funktioniert auch dann, wenn die E-Autobesitzer:innen gar kein Smart Meter Gateway oder dynamischen Stromtarif haben.
Derzeit ist es für Besitzer:innen von Elektroautos nicht möglich, ihr Fahrzeug daheim aufzuladen und zeitgleich von flexiblen Strompreisen zu profitieren, wenn sie nicht über ein Smart Meter Gateway oder einem dynamischen Stromvertrag verfügen. Bei dieser Konstellation kann das Verschieben eines Ladevorgangs in Zeiten mit niedrigen Strompreisen – etwa in die Nachtstunden – weder gemessen noch bilanziert und von Seiten der Netzbetreiber abgerechnet werden.
Mit dem jetzt gestarteten Pilotprojekt soll nun ausgelotet werden, wie die Flexibilität der Stromnachfrage auch ohne intelligentes Messsystem für diese Art von Kundengruppe nutzbar gemacht werden kann. Dabei sollen die Teilnehmer der Pilotgruppe von einem sehr einfach zu verstehenden Lade-Angebot profitieren, indem sie außer der Installation einer App keine weitere Voraussetzung erfüllen müssen – also ohne das Vorhandensein eines Smart Meter Gateway. Die Übertragungsnetzbetreiberin TransnetBW verspricht sich aus diesem Pilotprojekt zusätzliche dezentrale Flexibilitäten für die Systemstabilität einsetzen zu können.
Die Projektbeteiligten hegen die Befürchtung, dass aufgrund der aktuell noch geringen Verbreitung von Smart Meter Gateways und der niedrigen Akzeptanz von dynamischen Stromtarifen nicht absehbar ist, ob die großen Flexibilitätspotenziale von dezentralen Verbrauchern ausreichend erschlossen werden können. Mit dem Projektvorhaben könnte so zumindest ein Teil des noch nicht abgerufenen Flexibilisierungspotenzials nutzbar gemacht werden.
Der Bilanzierungstrick
Um die Integration der Flexibilitätspotenziale von Elektrofahrzeugen auch ohne Hardwarekomponenten wie etwa Smart Meter Gateways in den Strommarkt zu realisieren, nutzen die Projektbeteiligten bestehende Strukturen. Hierzu greifen die Projektpartner auf bestehende Systeme und aktuell etablierten energiewirtschaftlichen Prozesse zurück: So wird für das Vorhaben im ersten Schritt ein Pool von Audi Elektrofahrzeugen mit den Handelsprozessen von TransnetBW verknüpft.
Im Pilotprojekt entscheidet das neue System auf Grundlage der Nutzungsprofile seiner Kunden (gemeint sind die E-Autobesitzer:innen) darüber, welche Flexibilitäten überhaupt zur Verfügung stehen. Ziel ist es, dass die am Projekt beteiligten E-Autobesitzer:innen ihre Fahrzeuge zu flexiblen Zeiten ohne Komfortnachteile aufladen können. Die so identifizierten Flexibilitäten – also Strommenge x, die zeitlich verschoben werden kann – vermarktet TransnetBW am kontinuierlichen Intraday-Markt. Auf dem Intraday-Markt haben die dort tätigen Stromhändler nun ihrerseits die Möglichkeit, diese frei gewordene Strommenge x (also die Flexibilitäten) zu kaufen, um etwa eine kurzfristige Nachfragespitze ihrer Kund:innen zu decken.
TransnetBW ihrerseits bilanziert die Veränderungen des Stromverbrauchs der Marktlokationen im Vergleich zu den ihr bekannten Standardlastprofilen. Diese Informationen werden nun in den Differenzbilanzkreisen der jeweiligen Netzbetreiber aufgenommen. Diese wiederum können die Differenz mit unterschiedlichen Abrechnungsmodellen an ihre Kunden weitergeben. Am Ende der Kette kommen die am Projekt beteiligten E-Autobesitzer in den Genuss von vergünstigten Netzgebühren.
Vom virtuellen zum realen Testfall
Aktuell befindet sich das Projekt noch im virtuellen Testlauf. Seit Projektbeginn erproben die Partner das Zusammenspiel der Systeme und Handelsprozesse im Testbetrieb. Dies wird mit virtuellen Elektrofahrzeugen, den sogenannten Digital Twins, unter realen Marktbedingungen simuliert. Erste vorläufige Ergebnisse deuten nach Angaben der Projektpartner auf ein hohes Flexibilisierungs- und Einsparpotenzial für potenzielle Kunden hin.
Ab September wird der Pilottest auf reale Fahrzeuge ausgeweitet und die verfügbare Flexibilität der Teilnehmer real an der Börse vermarktet sowie die Bilanzierung und Abrechnung mit den Netzbetreibern realisiert. Dieser reale End-to-End-Test soll insbesondere Aufschluss über die Machbarkeit und das tatsächliche Potenzial der Lastverschiebung durch Elektrofahrzeuge geben.
Dieser Ansatz ermöglicht somit eine Kombination aus klassischen Festpreis-Stromverträgen und der Vermarktung von Flexibilitäten. Dies wird dadurch realisiert, dass die Vermarktung, Bilanzierung und Abrechnung der Flexibilitäten unabhängig vom tatsächlichen Strombezugsvertrag des Einzelnen erfolgt. (cp)