11.11.2024 – Gerade in der Antarktis zeigt sich auf drastische Weise, wie wichtig der Umstieg auf erneuerbare Energien ist. Wie er gelingen kann, dokumentiert ein Projekt in der Neumayer-Station III – unterstützt durch Technologie von Bachmann.
Die Landfläche der Antarktis ist mit fast 13,2 Millionen Quadratkilometern etwa 37-mal größer als Deutschland – und ein unwirtlicher Ort: Überall liegt Schnee und Eis. Der bisherige Kälterekord an diesem Punkt der Erde beträgt -89,2 Grad Celsius, der Wind pfeift mit bis zu 150 Kilometern pro Stunde.
Leben und Arbeiten auf schwimmendem Eis
In der Neumayer-Station III finden bis zu 60 Menschen dennoch einen komfortablen Arbeits- und Lebensraum. Die Forschungsstation wird vom Alfred-Wegener-Institut, Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung (AWI), betrieben und ist die Basis für die deutsche Antarktisforschung. Die Neumayer-Station III ist ein Gebäude auf einer Plattform oberhalb der Schneeoberfläche und wird von 16 Stelzen getragen. Regelmäßig heben Techniker die Station mit einer hydraulischen Hebevorrichtung an, um den jährlichen Schneezutrag von etwa einem Meter auszugleichen. So wächst die Anlage mit der Schneedecke mit und die Plattform liegt immer etwa sechs Meter über dem Eis.
Innerhalb einer Schutzhülle stehen auf der Plattform mehr als 100 Container mit unterschiedlichen Funktionen in zwei Ebenen übereinander: Wohn- und Schlafräume, Hospital, Küche, Messe, Funkraum und Sanitärräume. Die Energiezentrale ist in eigenen Containern auf zwei Stockwerken untergebracht.
Unterhalb der Station befindet sich eine Tiefgarage im Eis. Hier parken Fahrzeuge zum Einsatz in Polargebieten – unter anderem Pistenbullys und Motorschlitten. Genau genommen schwimmt die ganze Station: Sie wurde auf Schelfeis errichtet, einer Art von Meereis, das auf dem Ozean schwimmt und mit einem Gletscher oder einer Eiskappe an Land verbunden ist. Die Gletscherzunge ist beruhigende 250 Meter dick, darunter befinden sich allerdings 300 Meter Wasser. Für die Wissenschaft ist gerade diese unbeständige Umgebung von großem Interesse, denn Schelfeis spielt eine bedeutende Rolle im Klimasystem, weil es den Fluss von Gletschereis ins Meer verlangsamen kann.
Energieversorgung neu gedacht
Möglich sind die Forschungsarbeit und das Überleben an diesem Ort jedoch nur mit einer sicheren Energieversorgung. Diese basierte bislang hauptsächlich auf drei dieselbetriebenen BHKW und einem Not-Aggregat. Deren hohe Zuverlässigkeit ist jedoch mit Schadstoffemissionen bei der Verbrennung fossiler Kraftstoffe verbunden. Zwischen 350 und 500 Tonnen Diesel verbrauchten die drei Dieselgeneratoren mit einer Leistung von je 160 kW bislang jährlich. Etwa eine Million Tonnen Kohlendioxid gelangten so im Dienste der Forschung in die Luft. Doch das ändert sich nun.
Schon heute unterstützt eine Horizontalachs-Windkraftanlage mit 30 kW Leistung die Stromversorgung der ganzjährig besetzten Forschungseinrichtung. Der Anteil des klimaneutral erzeugten Stroms an der Energieversorgung der Station soll zukünftig deutlich gesteigert werden – durch die verstärkte Nutzung von Wind- und Sonnenenergie. Indem die erzeugte Energie so weit wie möglich in einem geschlossenen System bleibt und somit optimal genutzt wird, will man zudem die Nachhaltigkeit der Energieversorgung weiter erhöhen. Die letzte Säule des neuen Konzepts bilden Optimierungen im laufenden Betrieb. Knapp die Hälfte des Diesels lässt sich durch das künftige Energiekonzept einsparen, wie Dipl.-Ing. Peter Köhler, der technische Koordinator der Neumayer-Station III, errechnet hat.
Vertikal statt horizontal
Viele der Maßnahmen beim Umbau der Forschungsstation tragen Pilotcharakter. So auch eine erste Vertikalachs-Windkraftanlage. Sie unterstützt das Blockheizkraftwerk der Station mit einer regenerativen Leistung von bis zu 50 Kilowatt und ergänzt die alte Horizontal-Anlage, die bei den extremen Wetterbedingungen mit vielen technischen Problemen zu kämpfen hatte.
Die neue Windkraftanlage ist ein sogenannter H-Windgenerator mit vertikal stehender Rotationsachse. Ihr besonderer Vorteil: Als H-Windgenerator kann die Anlage den Wind aus allen Richtungen effektiv nutzen, ohne dass das Rotorblatt verstellt oder die Gondel nachgeführt werden muss. Der Rotordurchmesser beträgt 10 Meter. Strom wird bei schwachem Windlagen von 2 m/s bis zu stürmischen Windgeschwindigkeiten von 25 m/s erzeugt. Schon diese erste Anlage spart nach Berechnungen das Alfred-Wegener-Instituts bereits 11.300 Liter Diesel pro Jahr ein.
Wie bei der Forschungsstation ist der jährliche Schneezutrag auch bei der Wind- energie eine enorme Herausforderung. Die Krankapazitäten sind begrenzt und die Klimabedingungen sind rau. Daher musste die Windkraftanlage ein geringes Gewicht und gleichzeitig einen robusten Aufbau besitzen sowie obendrein verstellbar sein.
Gelöst wurde die Herausforderung des Schneezutrags durch ein sternförmiges Fundament, das im Schnee gegründet ist. Die Anlage wiegt mit einem Gesamtgewicht von rund 8 Tonnen so wenig, dass sie von einem Raupendrehkran jährlich um den Schneezutrag angehoben werden kann. Das Fundament versinkt dabei mit jeder Erhöhung tiefer im Firnschnee. Um das auszugleichen, werden standardisierte Erhöhungselemente zwischen dem konisch zulaufenden Turmelement und dem Fundamentstern eingesetzt. Zwei weitere Windanlagen gleicher Bauart sind bereits fest eingeplant. Zusätzlich könnten später dann optional noch einmal zwei Anlagen errichtet werden, so dass fünf Windkraftanlagen eine Leistung von jeweils 50 kW bereitstellen würden.
Messdaten dienen für Folgeanlagen
Grundlage für die Konstruktion der noch folgenden Anlagen sind die gesammelten Daten eines von Bachmann entwickelten, hergestellten und gelieferten Strukturüberwachungssystems (SHM; Structural Health Monitoring). Dieses sammelt am Turm der neuen Windkraftanlage der Neumayer-Station III systematisch Messdaten zu Eigenfrequenz, Neigung und Beschleunigungs-Effektivwerten. „Wir werten das als ersten Erfolg“, sagt Peter Köhler über die bisherigen Erfahrungen, die allen Beteiligten laufend neue Erkenntnisse bringen.
Speziell für die Kälte entwickelt
Die rauen Umgebungsbedingungen und extremen Temperaturanforderungen erfordern besonderes robuste Hardware und Sensorik. 2D-MEMS-Beschleunigungssensoren von Bachmann sammeln unter den schroffen Bedingungen der Antarktis die Messdaten für die Überwachung der Windanlage. Die im Außenbereich installierte Bachmann-Messtechnik ist für einen dauerhaften Betrieb bei Temperaturen von -30° bis +60°C ausgelegt und erträgt Temperaturspitzen von -40° bis +70°C.
Die Messdaten werden durch ein Universal-Ein-/Ausgangsmodul GIO212 CC mit zwölf Kanälen erfasst. Im Schaltschrank am Turm der Windanlage kommt zudem ein Prozessor vom Typ MC212 CC zum Einsatz, „CC“ steht dabei für „Cold Climate“, zu Deutsch „kaltes Klima“. Der Industrie- PC besitzt einen Dual Core-Prozessor mit 1,3 GHz Rechenleistung sowie 2 GB DDR4 Hauptspeicher, was es ihm ermöglicht, die gesammelten Messdaten schnell und sicher zu verarbeiten. Für die Stromversorgung dient ein NT255-Netzteilmodul.
Alle Module wurden einem 100-Prozent-Test im Betrieb unterzogen, bevor sie die Produktionsstätten verlassen haben. Ein Standard-Verfahren bei Bachmann, bei dem die Hardware extreme Temperaturwechselphasen in Klimakammern über sich ergehen lassen muss, so dass sie auch für einen Einsatz in der Antarktis gut gerüstet ist.
Die Sensor-Daten des SHM-Systems in der Antarktis werden zunächst per Ethernet-Link in das Intranet der Polarstation übertragen und gehen dann später per Satellit nach Europa, wo sie vom Bachmann-Partner P.E. Concepts systematisch ausgewertet werden. Die im ersten Betriebsjahr aufgezeichneten Daten befinden sich momentan in der Auswertung. „Wir erwarten uns davon eine Aussage zum gewählten Mast-Design und dazu, ob unsere Ausgangsprognosen zutreffend sind“, erklärt AWI-Ingenieur Köhler. Mit diesen Erkenntnissen wird die Konstruktion der nachfolgenden Windanlagen falls nötig optimiert. Köhler zeigt sich aber zuversichtlich, dass keine größeren Änderungen notwendig sind: „Wir gehen von der Bestätigung des sicheren Betriebs der Turbine auf dem neu entwickelten Mast aus.“
Zur Datenauswertung und für die Reporte dient die Software „WebLog Expert“. Das ist ein browserbasiertes Softwaretool von Bachmann, mit dem mittels eines handelsüblichen Webbrowsers eine detaillierte Analyse der Schwingungsdaten und der Zugriff auf die Konfiguration der Systemparameter für die Bachmann-Hardware möglich ist. Für die Überwachung von Turm- und Gründungsstrukturen wurde WebLog Expert eigens um neue Funktionalitäten zur Strukturüberwachung erweitert. So bietet die Software nun eine einheitliche Plattform für die ganzheitliche Anlagenüberwachung. Sowohl Triebstrang als auch die Struktur lassen sich betrachten.
Die Erkenntnisse aus den Messdaten fließen derzeit in die Konstruktion der zweiten Windturbine von Neumayer III, die in der Sommersaison 2024/2025 errichtet werden soll. Geplant sind die Arbeiten zwischen November 2024 und Februar 2025.
Fassade mit Solarelementen
Doch das komplexe energetische Konzept der Neumayer-Station III reicht noch sehr viel weiter als nur bis zu den Windkraftanlagen: „Wesentliche Schwerpunkte des modernisierten Energiekonzepts sind neben der Deckung des Energiebedarfs aus regenerativen Quellen zukünftig auch in der Reduzierung des Energiebedarfs der Station festgelegt“, erläutert Peter Köhler.
Für die Gewinnung regenerativer Energie spielt künftig auch die Fassade der Station eine wichtige Rolle. Sie wird mit Photovoltaik-Elementen ausgestattet. 53 kWp sollen die Module liefern. Bei den Windverhältnissen vor Ort ist das ebenfalls keine einfache Aufgabe. Um die Energie zwischenzuspeichern wird außerdem ein Batteriespeicher mit einer Leistung von 500 kW/h installiert. Hinzu kommt ein Thermospeicher, ein Wasserspeicher mit 10 m2 Fassungsvermögen. Last but not least werden die bisherigen BHKW durch zwei große und zwei kleinere neue Blockheizkraftwerke ersetzt. All das sorgt künftig für nachhaltige Energie.
Logistische Herausforderung
Der weitere Umbau ist auf fünf Jahre geplant – denn die logistischen Herausforderungen sind erheblich: Der Eisbrecher Polarstern legt jedes Jahr im Spätsommer in Bremerhaven zu einer Antarktis-Expedition ab, fährt um die halbe Welt und transportiert während einer mehrmonatigen Forschungsreise auch sämtliche Ausrüstung auf die andere Seite des Erdballs.
Die Zeit zum Ausführen der Arbeiten in der Antarktis ist dabei denkbar knapp: Alle Arbeiten müssen in der sogenannten Sommersaison zwischen November und Februar erledigt werden. Im polaren Winter von Mai bis September herrscht draußen eisige Polarnacht. Dann sind nur noch ein Kochprofi, drei Ingenieure, ein Arzt und vier Wissenschaftler vor Ort. Sie bilden das Überwinterungsteam der Polarstation. Moderne und zuverlässige Technik sorgt dafür, dass es drinnen hell und warm bleibt und die Forschenden ihre Arbeit verrichten können.
Sie untersuchen zum Beispiel, wie empfindlich das Schelfeis der Antarktis auf den Klimawandel reagiert. Die Ergebnisse könnten dazu beitragen, besser vorherzusagen, wann und wie stark die polaren Eisschilde schmelzen könnten. Mit diesem Wissen kann die gesamte Menschheit sich besser gegen das wappnen, was auf sie zukommen wird. Die Daten der Windturbine leisten ihren kleinen Beitrag auf diesem Weg. (pq)