Weitere Ergebnisse...

Generic selectors
Exact matches only
Search in title
Search in content
Post Type Selectors

Erneuerbaren-Ausbau: Neue Wege für Stadtwerke und Netzbetreiber

30.03.2023 – Mit einem umfangreichen Gesetzespaket hat die Politik in Deutschland und auf EU-Ebene viele wichtige Impulse für den Ausbau der Erneuerbaren gegeben. Die Versorgungswirtschaft beginnt, ihre Strategien und Prozesse neu zu definieren.

Auf mindestens 80 Prozent soll der Anteil Erneuerbarer Energien am Bruttostromverbrauch in Deutschland bis 2030 steigen. Das wünscht sich übrigens nicht nur die aktuelle Bundesregierung, sondern insbesondere auch die Wirtschaft: In einer aktuellen Studie der Managementberatung Horváth sprechen sich 90 Prozent der befragten deutschen Führungskräfte dafür aus, den Erneuerbaren-Ausbau noch stärker und vor allem zielgerichteter voranzutreiben. Aktuell decken Solar, Wind, Biomasse, Geothermie und Wasserkraft insgesamt 47 Prozent ab.

Solaranlagen Windräder orangener Himmel

Foto: Nuttsue/ shutterstock.com

Erneuerbare Energien: Mehr Flächen, weniger bürokratische Hürden

Tatsächlich wurden in den letzten Monaten viele Hürden beseitigt. So müsste das im neuen Wind-an-Land-Gesetz vorgegebene Flächenziel von zwei Prozent laut Branchenexpert:innen ausreichen, um die Ausbauziele zu erreichen. Die Raumbewertung zeigt zudem, dass in allen Bundesländern bei konsequenter Ausweisung ausreichend Flächen verfügbar sind, um die Vorgabe zu erfüllen. Mit dem Beschluss zur Umsetzung der EU-Notfallverordnung kann im Genehmigungsverfahren fortan in ausgewiesenen Gebieten, die bereits eine Strategische Umweltprüfung durchlaufen haben, die Pflicht der Umweltverträglichkeitsprüfung und der artenschutzrechtlichen Prüfung für Erneuerbare Energien-Anlagen und Netze entfallen.

Impulse für den Ausbau der Photovoltaik versprechen sowohl eine umfangreiche Förderung als auch die Pflicht zur Ausstattung von öffentlichen oder gewerblichen Bauten und Parkplätzen, die inzwischen in der Mehrzahl der Bundesländer in unterschiedlicher Ausprägung gilt. Auch die Prozesse wurden vereinfacht: Der Netzanschluss und die Übermittlung aller Unterlagen sollen künftig über ein Webportal des Netzbetreibers abgewickelt werden können. Bei der Inbetriebnahme von PV-Anlagen bis 30 kWp soll der Netzbetreiber nur noch in Ausnahmefällen involviert sein. Weiteren Schub sollen PV- und Windkraftausbau durch höhere Vergütungssätze bei den Ausschreibungen sowie den weiteren Abbau bürokratischer Hürden im EEG 2023 erhalten.

Die Signale aus Berlin jedenfalls zeigen erste Wirkung – die Erneuerbaren-Branche ist vorsichtig optimistisch, die letzte Ausschreibung für PV-Anlagen wurde fast ausgeschöpft, Wind an Land war jedoch unterzeichnet. Die gute Nachricht: Die Versorgungsbranche beginnt, eine zunehmend aktive Rolle beim Ausbau der regenerativen Energien zu spielen.

Grafik Ausbauziele für Windenergie und Photovoltaik

Ausbauziele für Windenergie und Photovoltaik bis 2030. Quelle: BMWK, Deutsche WindGuard GmbH, Bundesnetzagentur, Fraunhofer-Institut für Solare Energiesysteme ISE, EEG 2023

Eigene Erzeugungskapazitäten

So sieht man zum einen, dass der erneuerbare „Kraftwerkspark“ der Branche kontinuierlich größer wird und weiter wachsen soll. Die EnBW vermeldet, dass bei der installierten Leistung des Erzeugungsportfolios Ende 2025 über die Hälfte aus Erneuerbaren Energien bestehen soll. Derzeit liegt der Anteil knapp über 40 Prozent. RWE plant, seine regenerativen Erzeugungskapazitäten bis 2030 international auf 50 Gigawatt auszubauen. Aktuell stehen etwa 18 Gigawatt zu Buche.

Neben den großen EVU bauen auch viele kleinere Versorger alleine, mit den Bürger:innen vor Ort oder in Kooperation mit anderen Stadtwerken ihre Erzeugungskapazitäten aus. Eine gute Entwicklung, denn das letzte Jahr sollte uns gelehrt haben, wie wichtig Unabhängigkeit in der Energieversorgung ist – und das gilt natürlich auch bei den Erneuerbaren. Allerdings kostet der Ausbau Geld, daher bleibt zu hoffen, dass das künftige Strommarktdesign Investitionen in eigene Wind- und Solar-Anlagen für die Branche noch attraktiver macht.

Grafik Windkraftflaechen

Anteil der ausgewiesenen Windkraftflächen. Quelle: Bund-Länder-Kooperationsausschuss, Stand: 10/22; © Agentur für Erneuerbare Energien e.V.

Vermarktung diversifizieren

Für die Finanzierung der neuen Infrastruktur erweisen sich neben der EEG-Vergütung auch neue Formen der Direktvermarktung des Solar- oder Windstroms für Stadtwerke als zunehmend interessante Option. Auf diesem Wege konnten – laut Bundesverband Solarwirtschaft – im letzten Jahr über 12 Prozent der neu installierten PV-Leistung förderfrei finanziert werden. Abgesehen davon ist eine solche Diversifizierung der Vermarktungsstrukturen in jedem Fall erfolgskritisch für die Versorgungsbranche, um Kund:innen langfristig zu binden. Denn „grünen“ Strom können gerade gewerbliche Abnehmer schon heute in beliebiger Menge direkt vom Erzeuger beziehen. Langjährige Stromlieferverträge (PPA) zwischen EVU und energieintensiven Unternehmen, zum Beispiel aus der Stahl- und Chemieindus­trie, schaffen hier Planungssicherheit für beide Seiten.

Kooperationen verstärken

Vielerorts erkennt die Versorgungsbranche zudem, dass es sich lohnt, private Betreiber beim Aufbau von Windparks oder Solarfreiflächenanlagen nicht nur zu dulden, sondern aktiv zu unterstützen und insbesondere auch den öffentlichen Sektor, Gewerbe- und Privatkund:innen beim Umbau ihrer Stromversorgung zu begleiten. Aktuell kooperieren viele Stadtwerke bereits mit Wohnungsbauunternehmen und Kommunen, aber auch mit Unternehmen und privaten Immobilienbesitzer:innen im Rahmen von Solar-Pachtmodellen.

Im Portfolio finden sich vermehrt auch Mieterstrom-Konzepte sowie Full-Service-Angebote für PV, Speicher und Wärmepumpen, die in Partnerschaft mit spezialisierten Anbietern respektive lokalen Handwerksbetrieben umgesetzt werden. Synergien zwischen Energie- und Landwirtschaft lassen sich in ländlichen Regionen durch die Agri-Photovoltaik erschließen, von der sowohl der Versorger als auch der landwirtschaftliche Betrieb profitieren.

Auch beim Aufbau von Windenergieanlagen weitet sich die Zusammenarbeit zwischen Versorgern und Kommunen aus. Dabei zeigt sich auch, dass die Akzeptanz bei der Bevölkerung für Windräder steigt, wenn die Bürger:innen einen Teil der Erlöse aus dem Stromverkauf erhalten.

All diese Entwicklungen weisen in die richtige Richtung, denn sie beschleunigen den Ausbau der dringend benötigten erneuerbaren Erzeugungskapazitäten. Vor allem aber entwickeln sich neue Dienstleistungen und Geschäftsmodelle, die in absehbarer Zukunft das alte Commodity-Geschäft ablösen müssen. Für Stadtwerke und Versorger ist dies die vielleicht einzige Chance, auch in der „neuen“ Energiewelt eine im doppelten Wortsinn nachhaltige Rolle zu spielen. Der Weg wird nicht leicht, aber die Branche hat die ersten Schritte getan. (ds/pq)