16.02.2024 – Der Zubau der Erneuerbaren in Deutschland nimmt an Fahrt auf. Doch welche Rolle spielt die Versorgungswirtschaft bei dieser Entwicklung? Darüber sprachen wir mit Carsten Bovenschen, CEO der MVV-Tochter JUWI GmbH, die seit mehr als 25 Jahren Solar-, Wind- und Speicherprojekte realisiert.
Herr Bovenschen, der zügige Ausbau der Erneuerbaren ist erklärtes politisches Ziel, die Zubauzahlen entwickeln sich positiv. Aber natürlich wünschen sich manche Akteure noch mehr Tempo. Was ist Ihre Einschätzung?
Aus meiner Sicht hat das BMWK der Branche gut zugehört und viele Weichen richtig gestellt. Es geht erkennbar voran und ich halte es für absolut machbar, dass wir bis 2030 das Ziel erreichen, 80 Prozent unserer Energie aus erneuerbaren Quellen zu beziehen.
Woran lässt sich das in Ihrem Tagesgeschäft festmachen?
Ein sehr gutes Beispiel sind die Genehmigungsverfahren für Wind- und Solarprojekte, die sich messbar beschleunigt haben: Wir haben 2023 tatsächlich 75 Prozent mehr Genehmigungen erhalten als im Vorjahr. Auch bei der Akquisition von Potenzialflächen kommen wir jetzt deutlich zügiger voran. Darüber hinaus steigt die Nachfrage nach unseren Dienstleistungen, also der Entwicklung und dem Betrieb von Wind- und Solarprojekten, wirklich spürbar an. Qualitativ sehen wir dabei auch, dass der Ausbau der Erneuerbaren jetzt auf breiter Ebene interessant geworden ist.
Wie haben sich die Interessen und Interessenten verändert?
Nun, vor einigen Jahren war ein Erneuerbaren-Projekt so etwas wie ein festverzinsliches Wertpapier, das aufgrund der regulatorischen Vorgaben kalkulierbare Gewinne brachte. Spannend also vor allem für institutionelle Anleger und Akteure, denen es vorrangig um gute Renditen für das eingesetzte Kapital ging. Inzwischen hat sich herumgesprochen, dass Wind und Sonne auch konkurrenzlos günstigen Strom liefern. Die Gestehungskosten liegen momentan bei rund sechs Cent pro kWh und das motiviert beispielsweise immer mehr Kommunen, Bürgergesellschaften, Immobilienentwickler oder auch Gewerbeunternehmen, Kapazitäten für den Eigenverbrauch aufzubauen. Hinzu kommt spätestens seit 2022 der Wunsch nach einer unabhängigen, kostengünstigen und klimaschonenden Energieversorgung. Dieser Bewusstseinswandel ist meines Erachtens der wichtigste Impulsgeber für eine erfolgreiche Energiewende.
Wie sehen Sie denn die Rolle der Energieversorger in diesem Prozess?
Die Versorgungsbranche ist einer der wichtigsten Treiber – vor allem natürlich die größeren Unternehmen. So will zum Beispiel unsere Muttergesellschaft MVV, die auch Großverbraucher wie die BASF in Ludwigshafen versorgt, bis 2035 in allen Versorgungssparten klimaneutral werden – und dazu müssen natürlich entsprechende Kapazitäten aufgebaut werden. Die Kraftwerke der Zukunft sind Wind- und Solarparks und da macht es Sinn, dass die Versorgungsbranche den Ausbau massiv vorantreibt.
Gilt das auch für kleine Versorger?
Selbstverständlich! Auch die kleinen Stadtwerke und EVU sollten eigene Kapazitäten aufbauen, eigene Konzepte für ihr Versorgungsgebiet entwickeln. Alles, was dezentral erzeugt wird – und das ist an vielen Orten eine ganze Menge – muss nicht eingekauft und über teure Trassen durch die Republik respektive Europa transportiert werden. Der Ausbau von lokalen Wind- und Solarparks ist nach meiner Ansicht die wichtigste und beste Zukunftsinvestition für die Branche und für unser Land. Dafür braucht es weiterhin Planungssicherheit und – wo nötig – auch Finanzmittel von Bund und Ländern.
Sie berichten von einem wachsenden Trend zur Eigenversorgung auch bei größeren privaten oder öffentlichen Verbrauchern. Was bedeutet das für Stromversorger?
Es bedeutet, dass sich EVU zusätzlich zum Stromverkauf neue Einnahmequellen erschließen sollten. Der Ausbau von größeren Wind- und Solaranlagen in privater und kommunaler Hand ist unter diesem Blickwinkel auch eine große Chance, denn es braucht natürlich Fachleute, die diese Anlagen planen, genehmigen lassen, beschaffen, installieren, ans Netz anschließen und gegebenenfalls betreiben und warten. Für Privathaushalte haben viele, auch kleinere Versorger schon entsprechende Angebote aufgebaut – teilweise in Kooperation mit externen Fachfirmen, als Kauf- oder Mietmodell, je nach Möglichkeit und Interessenlage. Dass das auch in größerem Stil funktioniert, sieht man ja zum Beispiel an uns. (pq)