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Marktpreis oder Festpreis?

19.10.2023 – Mit der Anbindung der EPEX SPOT-Lösung EPEX Localflex an die niederländische Netzbetreiberplattform GOPACS startet in unserem Nachbarland die Vermarktung lokaler Flexibilitäten.

Flexibilitäten sind im Wesentlichen steuerbare Stromverbraucher oder -einspeiser respektiver Speicher, die ihre Kapazitäten an den Bedarf anpassen können: Übersteigt die Nachfrage das Angebot, stellen sie Energie bereit (positive Flexibilität), steht mehr Energie bereit als benötigt, nehmen sie diese kurzfristig auf (negative Flexibilität). Im Zuge des Umbaus unserer Energieversorgung auf volatile erneuerbare Stromquellen bei gleichzeitiger Zunahme elektrischer Verbraucher werden solche Flexibilitäten bekanntermaßen wichtiger, da Angebot und Nachfrage immer stärkeren Schwankungen ausgesetzt sind. Die hohe Dynamik hat Auswirkungen auf den Preis und – sollte der Ausgleich von Stromangebot und -nachfrage über den Markt nicht gelingen – potenziell auch auf die Netze, die dann schlimmstenfalls auch physikalisch an ihre Grenzen kommen. Das ließ sich hierzulande bislang weitestgehend vermeiden. Allerdings nehmen kurzfristig erforderliche Ausgleichsmaßnahmen wie Redispatch und Einspeisemanagement seit Jahren zu. Diese sind eigentlich als absolute Ausnahme gedacht und dementsprechend mit erheblichen Kosten verbunden, die letztlich die Netzkund:innen tragen. Auch die geplante Steuerung von Verbrauchern nach §14a EnWG wird künftig nicht mehr präventiv zulässig und mit erheblichen Nachweispflichten für die VNB verbunden sein.

Foto: biDaala studio / shutterstock.com

Flexibilitätsmärkte im Wandel

Die Vermarktung von Flexibilitäten über Märkte ist daher enorm wichtig und auf den Stromspotmärkten passiert dies bereits erfolgreich seit vielen Jahren, wie Kora Töpfer, Head of German Public & Regulatory Affairs der europäischen Strombörse EPEX SPOT berichtet: „Bereits 2011 haben wir als erste Strombörse Europas 15-Minuten-Produkte am deutschen Intraday-Markt eingeführt, 2017 konnten wir die Vorlaufzeiten von 45 auf fünf Minuten vor Lieferzeitpunkt reduzieren.“ Teilnehmer an diesen Märkten sind konventionelle Kraftwerke, erneuerbare Erzeuger respektive Aggregatoren (virtuelle Kraftwerke) sowie Industriebetriebe wie beispielsweise die BASF, die ihre Verbräuche zeitlich verschieben können. Aktuell wird rund ein Drittel des europäischen Verbrauchs, insgesamt 611 TWh pro Jahr, über diese Märkte abgewickelt, in Deutschland sind es etwa 250 TWh, was der jährlichen Leistung von rund 20 Atomkraftwerken entspricht. Auch die Regelenergiemärkte öffnen sich für flexible Produkte.

Bislang erfolgte der Handel ausschließlich unter zeitlichen Aspekten: Es ging also um die Frage, wer wann welche Strommengen bereitstellen respektive abnehmen kann. „In der neuen, dezentralen Energiewelt reicht dieser Ansatz wohl nicht mehr aus“, gibt Kora Töpfer zu bedenken, denn Engpässe und Überangebote könnten sehr kurzfristig lokal auftreten und vor Ort – unter Berücksichtigung der lokalen Besonderheiten – auch besonders effizient und wirtschaftlich behoben werden. Gleichzeitig eröffnen solche Mechanismen auch für kleine, lokale Marktteilnehmer zusätzliche Ertragsmöglichkeiten und machen sie unabhängiger von staatlicher Förderung. „Das gilt insbesondere auch für lastseitige Flexibilitäten, wie etwa Produktionsanlagen, V2G-fähige Ladeparks, KWK-Anlagen oder Speicher, deren Opportunitätskosten als Grundlage für eine mögliche Kompensation oder Förderung gar nicht regulatorisch festgelegt werden können“, ergänzt Kora Töpfer.

EPEX Localflex

Vor diesem Hintergrund arbeitet EPEX Spot seit vielen Jahren an der Entwicklung und Erprobung von Handelslösungen für lokale Flexibilitätsmärkte für das Engpassmanagement, so etwa im Rahmen von ENERA, einem von fünf SINTEG-Projekten, die als „Schaufenster intelligente Energie“ ab 2017 Lösungen für die künftige Stromversorgung erarbeiteten. „Wir konnten hier eine funktionsfähige Gesamtlösung für den lokalen Flexibilitätshandel und seine positiven Auswirkungen auf das Gesamtsystem demonstrieren“, berichtet Kora Töpfer. Im Testbetrieb wurden rund 3.000 Gebote abgegeben und 360 MW zertifizierte Flexibilitäten haben an dem Projekt teilgenommen. Das End-to- End-Handelssystem wurde zur Marktreife gebracht und trägt heute den Namen Localflex. Kora Töpfer: „Localflex arbeitet wie jedes andere Handelssystem: Anbieter lokaler Flexibilitäten, die bei der Registrierung ihren Standort angeben müssen, können dort Angebote platzieren. Netzbetreiber, die für ein bestimmtes Netzgebiet Flexibilität benötigen, können diese dort anfragen. Ein leistungsfähiger Algorithmus ermittelt im Abgleich von Angebot und Nachfrage daraufhin den lokalen Marktpreis. Der Netzbetreiber kann dann die Flexibilität reservieren und aktivieren, beispielsweise für eine Produktlaufzeit von 15- oder 60-Minuten.“ All das leistet LocalFlex quasi in Echtzeit. Auch ein Abgleich und eine Harmonisierung zwischen den Netzebenen werde dabei durchgeführt, so dass potenziell kontraproduktive lokale Flexibilitätsabrufe verhindert würden.

Über die neue Handelslösung EPEX Localflex können Flexibilitäten auch regional gehandelt werden. (Grafik: EPEX SPOT SE – PART OF EEX GROUP)

Lokaler Flexibilitätsmarkt in den Niederlanden

Im Juni 2023 wurde Localflex an GOPACS angeschlossen und ist damit in den Niederlanden operativ für den lokalen Flexibilitätshandel einsetzbar. GOPACS ist eine gemeinsame Plattform des niederländischen ÜNB TenneT und aller Verteilnetzbetreiber – und damit europaweit einmalig.

Über diese Drehscheibe koordinieren die niederländischen Netzbetreiber das Engpassmanagement marktbasiert: Auf Anfrage können Anbieter von Flexibilitäten hier ihre Gebote abgeben. GOPACS prüft daraufhin, ob beziehungsweise welche Gebote geeignet sind, den Engpass zu beheben und erteilt den Zuschlag. Der Netzbetreiber, in dessen Gebiet der Engpass aufgetreten ist, bezahlt die Differenz zwischen Beschaffungs- und Abgabepreis.

Mit der Anbindung an EPEX Localflex öffnet sich das System nun für weitere, lokale Flexibilitätsanbieter. Für Kora Töpfer eine große Chance – sowohl für die Anbieter von Flexibilitäten als auch für die Stabilität der Netze. „Diese Option ist volkswirtschaftlich extrem sinnvoll, denn sie schafft einerseits natürliche Anreize, Flexibilitäten auch regional bereitzustellen, und verringert gleichzeitig die Kosten für einen massiven Ausbau der Verteilnetze.“ Auch Dennis Stufkens, Vorsitzender der GOPACS-Initiative, sieht in der neuen Verbindung „einen signifikanten Meilenstein für das effektive Engpassmanagement im Rahmen der GOPACS-Strategie“.

Option für Deutschland?

In Deutschland ist die Situation im Stromversorgungssystem objektiv nur unwesentlich anders als in den Niederlanden, doch regionale Flexibilitätsmärkte sind hierzulande nicht angedacht.

Mit der Novelle der Netzausbaubeschleunigungsgesetzes (NABEG) und der darin festgeschriebenen verpflichtenden Umstellung auf Redispatch 2.0 hat man sich hierzulande 2019 für ein System mit festen Vergütungen entschieden. „Die EU-Strommarktrichtlinie respektive die Strommarktverordnung, die marktliche Mechanismen favorisieren, traten etwa zeitgleich in Kraft. In Deutschland wurden sie teilweise gar nicht in nationales Recht überführt oder es fehlen wie bei Art. 14c EnWG die Leitlinien für die Anwendung“, ergänzt Kora Töpfer. Mit anderen Worten: Netzbetreiber, die Flexibilitäten an lokalen Märkten beschaffen, bekommen die Kosten dafür nicht erstattet.

Die Stromhandels-Expertin rät hier zu einem Umdenken, beispielsweise in Form einer hybriden Lösung: „Ein Vorschlag wäre, die Erzeugung weiterhin im Redispatch 2.0 zu belassen und die Lasten, die bislang lokal gar nicht genutzt werden können, marktlich zu regeln.“ Wenn Deutschland sich hier nicht bewege, seien hohe Kosten und Nachteile für den Energiemarkt zu befürchten. Angesichts der aktuellen Entwicklungen bei Redispatch 2.0 – nach dem gescheiterten Testbetrieb wurde der bilanzielle Ausgleich zum 1. August dieses Jahres vorerst eingestellt – könnte man dieser Argumentation durchaus folgen. (pq)

www.epexspot.com