20.09.2024 – Der neue §14a EnWG ermöglicht Netzbetreibern bei kritischen Lastsituationen in der Niederspannung steuernd einzugreifen – sofern ein nachweislicher Engpass vorliegt. Die aktiver EMT GmbH und die Venios GmbH kooperieren, um die Prozesse zusammenzuführen.
Die Elektrifizierung des Wärme- und Verkehrssektors senkt die CO2-Emissionen, erhöht aber potenziell die Risiken für Überlastungen in den Stromverteilnetzen. Um diese zu verhindern – ohne den Anschluss von Wallboxen, Wärmepumpen oder Speichern zu behindern – hat die Bundesnetzagentur den Verteilnetzbetreibern ein neues Werkzeug an die Hand gegeben: Die netzorientierte Steuerung. Seit dem 1. Januar 2024 müssen derartige „Steuerbare Verbrauchseinrichtungen“ (SteuVE) regelbar sein, der Netzbetreiber ist berechtigt, deren Leistungsbezug auf bis zu 4,2 kW zu „dimmen“. Die Voraussetzung ist klar definiert: Ein Engpass, der – maximal fünf Minuten vor dem Steuerbefehl – anhand von Netzzustandsermittlungen festgestellt und nachgewiesen werden muss. Auch die Übermittlung der Steuerbefehle über die CLS-Schnittstelle des Smart Meter Gateways ist eindeutig geregelt.
Vor diesem Hintergrund starteten die aktiver EMT GmbH und die Venios GmbH bereits vor einem Jahr eine Kooperation und kombinieren ihre bestehenden Lösungen für CLS-Management und Netzberechnung.
Integration von Netz- und Messdaten
Um eine verlässliche Netzzustandsbewertung zu erhalten, müssen die Stamm- und Bewegungsdaten aus verschiedenen Systemen zusammengeführt werden. Venios.NET bietet Schnittstellen zu geographischen Informationssystemen (GIS), Asset- und Portfoliodatenbanken, Kundenschnittstellen, Leitsystemen, Netzplanungssystemen und Abrechnungs- sowie Energiedatenmanagementsystemen. „Da insbesondere die vorhandenen Netzdaten in der Regel fehlerbehaftet sind, sind außerdem automatisierte Korrektur- und Importskripte für eine schnelle Projektabwicklung entscheidend“, betont Dr. Jonas Danzeisen, Geschäftsführer der Venios GmbH. Als Beispiel nennt er nicht zusammenhängende Niederspannungstopologien in den meisten GIS-Systemen, die häufig nur geographische Angaben enthalten, nicht aber netztopologische Zusammenhänge. „Hier kann über die Nahpunktsuche und entsprechende Annahmen schnell ein rechenbares Netzmodell erstellt werden“, führt Danzeisen aus.
Modellierung von Netztopologie und Assets
Neben dem Netz mit allen vorhandenen Betriebsmitteln erfordert die Zustandsbewertung auch einen Modellierung aller angeschlossenen Verbraucher und Erzeuger. Damit können Berechnungen auch für einen bestimmten Zeitpunkt respektive für bestimmte Zeiträume durchgeführt werden, für die keine Messwerte vorliegen. Dr. Jonas Danzeisen: „Unser System rechnet immer mit den besten verfügbaren Informationen und nutzt Maschine-Learning- Methoden, um aus dem kontinuierlichen Abgleich zwischen Modell- und Messwert die Verbrauchs- und Erzeugungsmodelle zu verbessern.“
Auflösung und Häufigkeit der Netzzustandsermittlung können in Venios.NET beliebig konfiguriert werden. Dies ermöglicht die Verarbeitung von minütlichen Messwerten und die Durchführung der netzorientierten Steuerungshandlungen binnen der 5-Minuten-Frist.
Aus den Ergebnissen der Netzzustandsermittlung werden automatisch die Engpässe aufgelistet und Sensitivitäten berechnet, die Auskunft darüber geben, welche steuerbare Verbrauchseinrichtung sich in welcher Form auf die Behebung des Engpasses auswirken kann.
„Zusätzlich werden mit der Lösung auch weitere Anwendungsfälle ermöglicht, wie beispielsweise die Berechnung verschiedener Netzszenarien. Die Berechnung erfolgt mittels Newton-Raphson-Algorithmus, wodurch eine schnelle Konvergenz und somit auch eine schnelle Verfügbarkeit der Ergebnisse gewährleistet wird“, ergänzt Danzeisen. VENIOS.NET ist als Software-as-a-Service-Variante beliebig horizontal skalierbar, sodass die verfügbare Rechenleistung jeweils an die Bedarfe der Netzbetreiber angepasst werden kann.
Interoperabilität
Ausgehend von der Netzzustandsermittlung müssen die Steuersignale von der Marktrolle des Netzbetreibers an den Messstellenbetreiber (MSB) übertragen werden. Durch die Kooperation der Venios GmbH mit der aktiver EMT GmbH kann sichergestellt werden, dass der Steuerungsbefehl auf der kompletten Kommunikationsstrecke bis zum Endkunden reibungslos weitergegeben wird.
„Ein aktiver Externer Marktteilnehmer (aEMT) nutzt ein Smart-Meter-Gateway, um nachgelagerte Geräte zu steuern, während ein passiver EMT nur Daten empfängt. Der Gateway-Administrator, meist der MSB oder ein beauftragtes Unternehmen, verwaltet das intelligente Messsystem und führt verschiedene Prozesse wie Inbetriebnahme, Verwaltung von Zertifikaten und Überwachung durch“, erklärt Joachim Kopp, Geschäftsführer der aktiver EMT GmbH. „Wir als aktiver EMT GmbH bieten unseren Kunden im Bereich CLS (Controllable Local Systems) eine nach ISO 27.001 zertifizierte Datenplattform, über die eine netzorientierte Steuerung möglich ist.“
Das Steuersignal wird dabei vom VNB an den aktiven EMT weitergeleitet. Der aktive EMT ist diejenige Instanz im Wide Area Network, die mittels der CLS-Proxy-Funktionalität des Smart-Meter-Gateways (SMGW) einen CLS-Kommunikationsadapter ansteuert, der die entsprechenden Steuerungsbefehle wiederum an Wallboxen, Wärmepumpen oder PV-Anlagen oder Energiemanagementsysteme weitergibt.
Revisionssichere Speicherung
Nach der erfolgten Umsetzung des Steuerbefehls ist die entsprechende Dokumentation der Durchführung und aller zugrundeliegenden Voraussetzungen gesetzlich vorgeschrieben. Dies wird direkt durch Venios.NET abgebildet. Durch eine leistungsfähige No-SQL-Datenbankstruktur und die Möglichkeit des Hostings in verteilten Rechenclustern sind eine hohe Verfügbarkeit, Redundanz und Revisionssicherheit gewährleistet.
Dr. Jonas Danzeisen: „Für §14a EnWG sind Spezialanwendungen nötig, die sehr schnell mit sehr vielen Daten umgehen können und automatisiert Entscheidungsvorlagen für verschiedene Szenarien liefern. Da sich zudem auch die Geschäftsprozesse in der Netzführung beim Kunden selbst enorm verändern werden, kann der Schlüssel nur in lösungsfokussierten Kooperationen liegen. Durch die gemeinsame Lösung von Venios und aktiver EMT können alle Anforderungen abgebildet werden.“
Sicher ist: Die Implementierung von §14a EnWG erfordert eine Anpassung interner Prozesse und eine Verbesserung der Datenqualität bis in die Niederspannungsebene. Netzbetreiber müssen eng mit den Messstellenbetreibern zusammenarbeiten und die Schnittstellen zwischen VNB und MSB optimieren. Die erhöhte Datenmenge muss effizient verarbeitet werden, und MSB sollten durch Mehrwertdienste wie Submetering die Wirtschaftlichkeit steigern. (pq)