11.08.2023 – Wissenschaftler:innen des Fraunhofer IEE haben jetzt für Ostdeutschland und Hamburg die künftigen Gegebenheiten in den Verteilnetzen modelliert.
Die Karten zeigen die installierte Leistung pro Fläche des Szenarios für 2045. Hohe Farbintensität bedeutet hohe Leistungsdichte (kW/ha). (Bild: Planungsregion OST / Fraunhofer-Institut für Energiewirtschaft und Energiesystemtechnik)
Der Fakt, dass heute bereits vereinzelt Netzbetreiber neue Verbraucher nur verzögert anschließen, macht deutlich, wie wichtig eine gute Planung ist. „Klar ist aber, dass bis 2045 durch die Elektrifizierung aller Sektoren und den Ausbau von Wind und Solar für einen deutlich steigenden Stromverbrauch gravierende Veränderungen in der Stromversorgung zu erwarten sind: Wärmepumpen, Ladesäulen, Windkraft- und Photovoltaikanlagen und Speicher werden derzeit in großem Maßstab ausgebaut und sollen an das Stromnetz angeschlossen werden. Damit das funktioniert, muss das Verteilnetz umgebaut werden. Die Vielzahl der dezentralen Akteure macht die Investitionen besonders komplex“, stellt Prof. Dr. Martin Braun, Leiter des Forschungsbereichs Netzplanung und Netzbetrieb des Fraunhofer IEE und Professor für Energiemanagement und Betrieb elektrischer Netze der Universität Kassel, fest.
Szenarien für die Planung
Um die kleinteiligen Erzeugungs- und Verbrauchsstrukturen abzubilden und damit den Netzausbau optimieren zu können, werden sehr genaue Abschätzungen zum künftigen Bedarf benötigt: „Räumlich hoch aufgelöste Szenarien bis auf Ebene der Ortsnetztransformatoren helfen, den Ausbau der Verteilnetze planbarer zu machen. Als Fraunhofer IEE haben wir eine Modelllandschaft aus verschiedenen Modulen für die Planungsregion Ost entwickelt“, erläutert Dr. Carsten Pape, Gruppenleiter Szenarien und Systemmodellierung, Fraunhofer IEE. „Zentrale Einflussgrößen sind Abschätzungen zum Anschluss von neuen Stromerzeugungsanlagen und neuen Verbrauchern wie E-Fahrzeugen und Wärmepumpen bis hin zur Transformation der Fernwärme, Industrieprozesswärme und Elektrolyseanlagen. Dabei geht es darum, eine riesige verfügbare regionalisierte Datenbasis zu bündeln und in einem Modell zusammen zu führen“ so Pape
Pflicht zur Regionalplanung
Mit dem § 14 d des EnWG wurden Verteilnetzbetreiber erstmals verpflichtet, bis Ende Juni 2023 Regionalszenarien zu veröffentlichen. Im nächsten Schritt ist bis Ende April 2024 eine Netzausbauplanung zu formulieren. Dieser soll dann alle zwei Jahre aktualisiert werden.
Dieser Netzausbauplan fokussiert auf die Hochspannungsebene. In den unterlagerten Spannungsebenen bestehen deutlich größere Schwankungsbreiten hinsichtlich der möglichen Entwicklungen. Im Netzausbauplan wird ermittelt, in welchem Umfang Netzausbau notwendig wäre, wenn die im Regionalszenario dargestellte Entwicklung vollumfänglich eintreten sollte. Ob die ermittelten Netzausbaumaßnahmen in reale Projekte überführt oder zumindest Genehmigungsverfahren eingeleitet werden, um später schneller auf tatsächlichen Bedarf reagieren zu können, oder ob abgewartet wird, bis sich die Prognosen verfestigen, liegt ebenfalls in der Verantwortung der jeweiligen VNB.
Regionalplanung Ost
In der Planungsregion Ost haben sich die größeren Netzbetreiber, die nach § 14 d Energiewirtschaftsgesetz (EnWG) zur Abgabe eines Netzausbauplans verpflichtet sind, zu einer Kooperation zusammengeschlossen und stehen in engem Austausch mit dem Übertragungsnetzbetreiber 50Hertz Transmission. Das Netzgebiet der Planungsregion Ost mit Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen, Sachsen-Anhalt, Thüringen, Berlin und aus historischen Gründen auch Hamburg ist abseits der größeren Städte geprägt durch eine im bundesdeutschen Vergleich unterdurchschnittliche Bevölkerungs- und Lastdichte. Darüber hinaus gibt es viele Konversionsflächen wie Bergbaurestflächen oder ehemalige Militärflug- und Truppenübungsplätze, die sich besonders für Freiflächen-Photovoltaik- und Windenergieanlagen anbieten. Gleichzeitig sind aber auch die beiden größten städtischen Verteilnetzbetreiber Deutschlands, Stromnetz Hamburg und Stromnetz Berlin, in der Planungsregion Ost organisiert
Für die Erstellung des Regionalplans haben die Netzbetreiber der Planungsregion Ost nun über mehrere Monate gemeinsam mit den Wissenschaftlern des Fraunhofer IEE die Modellrechnungen erarbeitet: Eingeflossen sind die Gegebenheiten im Netzgebiet, die Kundennähe und der Netzentwicklungsplan für die Übertragungsnetze des Übertragungsnetzbetreibers 50Hertz Transmission. Räumlich detaillierte Prognosen zur Entwicklung von Erzeugung und Verbrauch wurden vom Fraunhofer IEE Kassel errechnet.
Übersicht der Entwicklung wesentlicher Technologien im Regionalszenario der Planungsregion Ost. (Bild: Planungsregion OST / Fraunhofer-Institut für Energiewirtschaft und Energiesystemtechnik)
Die dem Regionalszenario zugrunde liegenden Prognosen basieren auf wahrscheinlichen sowie politisch vorgegebenen Technologiepfaden. „Die regionale Planung ist ein Prozess, den wir in den kommenden Jahren verfeinern und immer wieder an den aktuellen Stand der Anlagen anpassen. Ziel ist es darzustellen, wie bis 2045 eine klimaneutrale Stromversorgung aussehen kann“, so Pape. „Gleichzeitig verwenden wir neue Ansätze in der Modellierung, die die Einzelentscheidungen von Verbrauchern ein Stück weit abbilden können.“
Im Ergebnis liegt nun für die Region Ost ein Szenario zur Umsetzung der Energiewende vor. Daraus ist ablesbar, wie sich der Ausbau von Windenergie und Photovoltaik in der Region entwickeln wird und welche neuen Verbraucher wie Elektrofahrzeuge und Wärmepumpen angeschlossen werden müssen. Hauptaugenmerk des Regionalszenarios ist es, die energiepolitischen Ziele der Bundesregierung eines CO2-freien Wirtschaftens bis 2045 für die Planungsregion Ost zu ermöglichen. Die Methodik berücksichtigt dabei auch die spezifischen Rahmenbedingungen der Planungsregion, die dazu führen, dass im Betrachtungsgebiet voraussichtlich einen überproportionalen Beitrag zur Erfüllung der klimapolitischen Bundesziele leisten wird.
Gesamtbild aus allen verfügbaren Daten
Die Dienstleistung einer Modellrechnung zur Regionalisierung der erneuerbaren Energien und neuen Stromverbraucher bietet das Fraunhofer IEE auch für andere Netzgebiete an. Dabei werden die Last und Erzeugung für alle Betriebsmittel in der Mittel-und Niederspannungn dargestellt. Auf dieser Basis können Verteilnetzbetreiber dann konkreter die optimierte Ausbauplanung ihres Netzes vornehmen. „In der komplexen und variablen Planungslandschaft sehen viele Netzbetreiber den Bedarf an automatisierten Tools zur Netzplanung wie wir sie in mehreren Studien im Stromnetz entwickelt und getestet haben“, sagt Pro. Dr. Martin Braun
Das Regionalisierungsmodell des Fraunhofer IEE kombiniert verschiedene Modelle und bringt alle verfügbaren Informationen aus einer Region bis hin zum Einzelgebäude zusammen. So sind die Windenergieflächen und die Teilflächenziele der Bundesländer, Gebietsausweisungen für Windanlagen und Repowering sowie die Anschlussgesuche bei Freiflächen-Photovoltaik enthalten. Ebenso fließen die Ergebnisse des amtlichen Netzentwicklungsplans für das Übertragungsnetz mit ein. Speziell für die Planung der Wärmeversorgung verwenden die Wissenschaftler ein Agentenmodell. Diese ermöglicht beispielsweise, in einem Bottom-up-Ansatz für jeden Hauseigentümer, wahrscheinliche Investitionsentscheidungen über die Heizungstechnologie und anstehende Effizienzmaßnahmen einzubeziehen.
Ein weiterer wichtiger Aspekt der Szenarien ist der Umgang mit der Gleichzeitigkeit von vielen dezentralen Einzelanlagen, der entscheidend für den Netzausbaubedarf ist. Die Wissenschaftler des Fraunhofer haben dazu die benötigte Leistung bei Bedarfsspitzen detailliert ermittelt. Aus den nutzer- und wetterabhängigen spezifischen Leistungsbedarfen wird dann aggregiert errechnet, welche Leistungsbedarfe auf welcher Spannungsebene auftreten, wenn die Klimaziele umgesetzt werden. Aus den Szenarien ergibt sich zum Beispiel, ob ein bestehender Ortsnetztransformator genug Leistung für die anstehenden Aufgaben mitbringt oder verstärkt werden muss, und wie sich dies auf das übergelagerte Umspannwerk und das Netz auswirkt.