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„Wachhunde“ für das Stromnetz der Zukunft

27.06.2023 Im Projekt ENSURE wurde in Schleswig-Holstein ein neuartiges Messsystem zur Überwachung der Stromnetze erfolgreich erstmalig flächendeckend getestet.

Messsysteme sind, bildlich gesprochen, die „Wachhunde“ des Netzes. Sie messen Ströme und Spannungen in Schaltfeldern. Wenn zum Beispiel ein Kabel beschädigt wird und es dadurch zu einem Kurzschluss kommt, schlägt der „Wachhund“ an – und schaltet den entsprechenden Bereich vorübergehend ab. Der Nachteil des bisherigen Systems: Die „Wachhunde“ lernen nicht dazu: Messgerät werden einmalig eingestellt und können anschließend auf Veränderungen im Stromnetz nicht mehr reagieren.

Im Kreis Steinburg erprobt Schleswig-Holstein Netz (SH Netz) gemeinsam mit den Partnern Siemens und FH Westküste im Rahmen des Bundesforschungsprojektes ENSURE ein innovatives Messsystem. In einem Digitalen Zwilling wird zudem untersucht, wie die gewonnenen Daten optimal für die Planung und Überwachung der Netze genutzt werden können.

Bild: Bundesministerium für Bildung und Forschung

Flächendeckende Messtechnik in der Mittelspannung

SH Netz hat die neuartigen „Wachhunde“ – die Phasor Measurement Units (PMU) – in einem knapp einjährigen Feldtest erstmalig flächendeckend in der Mittelspannungsebene eingesetzt und erfolgreich getestet. Diese Geräte erfassen hochaufgelöste Messwerte wie etwa Spannung und Frequenz erfasst, um einen noch detaillierten Blick in den aktuellen Netzzustand der Region zu erlangen. Da die Messwerte satellitengestützt zeitlich synchronisiert werden, können verschiedene Messpunkten miteinander verglichen werden.

„Ich freue mich, dass die PMU-Geräte in den unterschiedlichen Betriebssituationen zuverlässig funktioniert und ihre Aufgaben vollumfänglich erfüllt haben. Die höhere zeitliche Auflösung und die Zeitsynchronisierung ermöglichen uns beispielsweise das Verhalten großer Erneuerbarer-Energien-Anlagen besser zu beobachten. Hierdurch können mögliche Spannungsschwankungen frühzeitig erkannt und gegebenenfalls Regelungen von Umrichtern angepasst werden, bevor es zu einer automatisierten Abschaltung kommt. Als Netzbetreiber profitieren wir davon, indem wir in Anbetracht des starken Ausbaus Erneuerbarer Energien auf Spannungsschwankungen deutlich schneller und flexibler reagieren können und so die gewohnt hohe Versorgungszuverlässigkeit zukünftig weiter gewährleisten können“, sagt Dr. Malte Posewang, ENSURE-Projektleiter bei SH Netz.

Grundlage für Simulationen im Digitalen Zwilling

Die PMU-Messdaten wurden in einen eigens entwickelten Digitalen Zwilling der Demonstrationsregion im Kreis Steinburg eingespielt. In diesem virtuellen Abbild des realen Stromnetzes werden nun weitere innovative Anwendungen und Zukunftszenarien untersucht – beispielsweise, um weitere zukünftige Feldtests effektiv vorzubereiten, indem optimale geeignete Standorte und Größen neuer Erneuerbarer-Energien-Anlagen ermittelt werden. Zusätzlich werden verschiedene Zukunftsszenarien untersucht.

Während des Testbetriebes wurden am Institut für die Transformation des Energiesystems (ITE) der Fachhochschule Westküste in Heide pro Mess-Tag 750 Datensätze mit jeweils 86.400 Messwerten verarbeitet. Für die Auswertung wurden der Fachhochschule Westküste Messwerte mit einer zeitlichen Auflösung von bis zu 50 Messwerten pro Sekunde zur Verfügung gestellt. Zum Vergleich: Der bisherige Stand der Technik beruht auf einem Messwert pro Minute.

„Der Testbetrieb belegt die Belastbarkeit des Messsystems“, erläutert Prof. Reiner Schütt von der Fachhochschule Westküste. „Neben der Verlässlichkeit des Messystems ging es in dieser Projektphase auch darum, in welcher Datenauflösung Erkenntnisse zum dynamischen Netzverhalten gewonnen werden können. Auch hierzu können wir nun zuverlässige Aussagen treffen. PMU-Daten in Sekundenauflösung sind zum Teil nicht geeignet, um umfassend alle relevanten Netzereignisse zu erfassen. Netzfehler mit einer Dauer von unter einer Sekunde, wie bspw. Kurzschlüsse, können maximal durch Zufall erkannt werden. Für zukünftige Einsätze der PMUs in Verteilnetzen wird daher empfohlen, PMU-Daten in höherer zeitlicher Auflösung mit 50 Messwerten pro Sekunde zu nutzen. Würden die PMU, wie im Forschungsprojekt ENSURE, künftig breiter in Mittelspannungsnetzen eingesetzt werden, ließen sich damit die Ursachen solcher Netzsituationen mit einer Dauer von unter einer Sekunde wie beispielsweise Kurzschlüsse gegebenenfalls schneller und genauer ausfindig machen, um frühzeitig mit geeigneten Maßnahmen dem entgegenzuwirken.“

Schleswig-Holstein Netz erforscht die PMU-Geräte und ihre Adaptivschutzfunktion weiter – zum Beispiel im Forschungsprojekt VeN²uS – Vernetzte Netzschutzsysteme.

Über ENSURE

Das Projekt ENSURE ist Teil der Kopernikus-Projekte des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF). Es entwickelt zentrale Bausteine für das Stromnetz der Zukunft. Zudem entwirft und testet ENSURE ein Gesamtkonzept für Stromnetze als Rückgrat der Energieversorgung. Die Konzepte aus ENSURE sollen auf ganz Deutschland übertragbar sein. Dazu analysierte ENSURE zunächst, welche Anforderungen Netze bis 2050 erfüllen müssen. Anschließend werden Lösungen entwickelt, mit denen sich diese Anforderungen erfüllen lassen.

Im Projekt arbeiten 21 Partner aus Wirtschaft, Wissenschaft und Gesellschaft zusammen: Schleswig-Holstein Netz AG, TenneT TSO GmbH, SW Kiel Netz GmbH, Hitachi Energy Ltd , Siemens AG, Maschinenfabrik Reinhausen GmbH, Deutsche Umwelthilfe e. V., Germanwatch e.V., RWTH Aachen University, Karlsruher Institut für Technologie (KIT), Bergische Universität Wupper-tal, Technische Universität Dortmund, Technische Universität Ilmenau, Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg, Fachhochschule Westküste, Öko-Institut e.V., FGH e.V., EWI an der Uni zu Köln gGmbH, Christian-Albrechts-Universität zu Kiel, DVGW, OFFIS e.V..

www.kopernikus-projekte.de/ensure

 

www.hansewerk.com