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Mammutaufgabe für Versorger

11.10.2023 – Bürger:innen und Unternehmen von den stark gestiegenen Energiekosten zu entlasten war das Ziel der Soforthilfe und der Preisbremsen für Strom, Gas und Wärme. Energieversorger stellt das bis heute vor organisatorische, finanzielle und technologische Herausforderungen.

Geteiltes Leid ist nicht immer halbes Leid, weiß Frank Schmidt, Arbeitskreissprecher Energieversorger der Deutschsprachigen SAP-Anwendergruppe e. V. (DSAG) und CIO bei den Städtischen Werken Magdeburg. „Knappe Fristen sowie eine bisher noch nie dagewesene Komplexität in der operativen Umsetzung haben zum Jahreswechsel 2022/2023 nicht nur die Energieversorger, sondern auch die Endkund:innen verunsichert“, sagt er rückblickend. „Als Ende letzten Jahres die diversen Preisbremsen wie auch eine Reduzierung des Dezemberabschlages verabschiedet wurden, wussten viele Versorger und Stadtwerke nicht, wie sie die neuen rechtlichen Vorgaben so schnell in ihren operativen Systemen und Prozessen umsetzen sollten. Verbraucher:innen hatten Fragezeichen im Gesicht, wenn der Energieversorger die Regelungen dann im Detail erläuterte und sich die individuellen Informationsschreiben immer weiter verzögerten.“ Das gilt aus DSAG-Sicht sowohl für die Regelungen zur Soforthilfe als auch für die Preisbremsen.

Foto: gopixa / shutterstock.com

Herausforderung Soforthilfen

Zur Dezembersoforthilfe im Gas- und Wärmebereich verkündeten die Medien, dass der Dezemberabschlag für bestimmte Kund:innen entfallen würde. Nach den vom Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK) veröffentlichten FAQ zu den Soforthilfen ist die tatsächliche Regelung allerdings ein bisschen komplizierter: „Die endgültige Höhe der Entlastung wird erst im Rahmen der nächsten Rechnung ausgewiesen. Sie berechnet sich bei Standard-Lastprofil (SLP)-Kunden anhand von einem Zwölftel des prognostizierten Jahresverbrauchs, der den September 2022 umfasste, multipliziert mit dem im Dezember 2022 gültigen, zwischen Letztverbraucher und Erdgaslieferanten vertraglich vereinbarten Arbeitspreis, ergänzt um ein Zwölftel des Grundpreises.“ Für die exakte Berechnung bedurfte es erstens umfassender Software-Anpassungen, da diese Daten in den Abrechnungssystemen in der Regel nicht vorgehalten werden. Und zweitens – so Frank Schmidt – auch viel Geduld und Geschick für die zahllosen Gespräche mit Kund:innen, die diese Berechnung nicht nachvollziehen konnten. „Wer kennt denn schon ein Zwölftel des prognostizierten Jahresverbrauchs, der den September 2022 umfasste?“, fragt er sich.

„Frust auf Kund:innenseite ist vorprogrammiert, und dieser richtet sich auch nicht mehr nur an die Energieversorger. Es herrscht ebenfalls Unruhe in den Fachbereichen der Versorger, da aktuell noch keine Klarheit über eine mögliche Verlängerung der Regelung besteht“, gibt Frank Schmidt zu bedenken.

Preisbremsen: Gut gemeint, kompliziert gerechnet

Um die Entlastungen umzusetzen, mussten die Versorger zusätzliche Ressourcen für die Kundenkommunikation bereitstellen. (Foto: bbernard / shutterstock.com)

Auch die Regelung, die Verbraucherpreise für Strom und Gas für 80 Prozent der Vorjahresmenge zu deckeln, und darüber hinausgehende Verbräuche im laufenden Jahr zu 100 Prozent des Preises abzurechnen, war und ist laut dem Stadtwerke-CIO herausfordernd. Darüber und über ihre künftigen Abschlagszahlungen inklusive der eingerechneten Preisbremse sollten spätestens zum 1. März 2023 alle Strom- und Gaskund:innen schriftlich informiert werden – nachdem die Verordnung erst seit dem 24. Dezember im Gesetzesblatt stand.

Rückblickend sieht Frank Schmidt einiges Verbesserungspotenzial für Regelungen solcher Art: „Die Umsetzungszeit für eine stabile und verlässliche Software-Entwicklung war schlichtweg zu kurz. Hier gilt es schließlich, nicht nur die Phase der Software-Entwicklung zu betrachten. Von der Auslieferung von Programmanpassungen bis zum sicheren Betrieb in den komplexen Kunden- und Abrechnungssystemen bedarf es umfassender Tests, um die Fehlerfreiheit zu garantieren. Darüber hinaus sind auch viele Mitarbeitende zu schulen, damit im Alltag ein stabiler Betrieb möglich ist.“

Praxisferne Anforderungen

Zusätzlich hätten die unterschiedliche Regelungen für Strom, Gas und Wärme den Aufwand in die Höhe getrieben. Eine einheitliche Anforderungsbeschreibung, abgestimmt mit den Expert:innen aus den Versorgerunternehmen, hätte hier Kosten und Ärger für Kund:innen und Versorger sparen können. „Dann wäre sicher auch im Vorfeld berücksichtigt worden, dass nicht jeder Vertrag vom 1. Januar bis zum 31. Dezember läuft und möglicherweise Preisgarantien über die Laufzeit beinhaltet, Menschen ihren Versorger wechseln, umziehen oder versterben – alles Faktoren, die zeitgleich zur Berechnung der Soforthilfe und Preisbremsen bedacht werden müssen“, erklärt der DSAG-Arbeitskreissprecher. „Um das alles mal mit Zahlen zu verdeutlichen: Alleine in der Studentenstadt Magdeburg gibt es bei ca. 200.000 Strom- und Gaskunden fast 60.000 Ein- und Auszüge pro Jahr“, fasst Frank Schmidt zusammen.

Nicht jede Änderung ist sofort taggleich im IT-System verfügbar. Umfangreiche Korrekturen bei der Bearbeitung der einzelnen Fälle, aber auch eine steigende Fehlerquote und hohe Belastungen der Mitarbeitenden seien die nachvollziehbaren Folgen.

Vermeidbare Kosten?

Umfangreiche Anpassungen in den Abrechnungssystemen waren erforderlich. SAP unterstützte kurzfristig. (Foto: Roman Samborskyi / shutterstock.com)

Die gesetzeskonforme Umsetzung der Entlastungen hat bei den Versorgungsunternehmen auch erhebliche Zusatzkosten verursacht und Frank Schmidt fragt sich bis heute: „Braucht es wirklich einen Brief an jeden einzelnen Kunden, von der Privatperson bis zum Unternehmen, um das Aussetzen des Dezemberabschlages mitzuteilen?“ Die Kapazitäten, die auf eine Verteilung der Kundenkommunikation über das Jahr ausgerichtet sind, mussten nun für eine zusätzliche Benachrichtigung aller Kund:innen zu einem fixen Zeitpunkt aufgestockt werden. Allein hierfür musste man in Magdeburg extern Druckaufträge vergeben und externe Call-Center einbinden, berichtet er. „Aber auch der plötzlich angestiegene Papierbedarf und die Transportkapazitäten zur Briefverteilung stellten eine logistische Herausforderung dar, deren Sinnhaftigkeit es nach wie vor zu hinterfragen gilt“, so der IT-Experte.

Damit aber nicht genug: Wenige Wochen später folgte der Brief zur Abschlagsplanänderung. Dabei können Kund:innen ihren Abschlag seit Jahren online, durch einen Anruf im Call-Center oder einen Besuch im Kundenbüro bis zu einer gewissen Grenze selbst ändern. „Wäre es nicht ausreichend gewesen, über die Medien zu verkünden, dass der Energieversorger diese Grenze sachgerecht öffnet? Auch ein geänderter Abbuchungstext wäre eine gute Alternative gewesen, und dessen ökologischer Fußabdruck hätte viel besser in die aktuelle Zeit gepasst“, gibt Frank Schmidt zu bedenken. Gründe hat er ausreichend dafür, denn in Magdeburg ist ein sechsstelliger Betrag allein für Papier, Druck und Versand aufgelaufen, der am Ende von allen Kund:innen bezahlt werden muss. Und das nur, um eine Vorauszahlung anzupassen, statt die Erstattung in der Regel ausschließlich zum Bestandteil der jährlichen Abrechnung zu machen und den Abschlag in Härtefällen individuell anzupassen.

Warum viel manchmal nicht gut ist

Die Unterstützung in Form von Soforthilfen und Preisbremsen über die Energierechnung zu realisieren, bedeutete einen immensen Eingriff in vertriebliche Abrechnungssysteme, die zwischen den Unternehmen hoch individualisiert sind, auch um sich im Wettbewerb zu differenzieren. Dadurch kann ein zentrales Update für alle Unternehmen nicht die eine punktgenaue Lösung liefern. Individuelle Software-Anpassungen in den Unternehmen sind notwendig und die sowieso schon knappen Ressourcen an Spezialist:innen wurden von anderen Projekten abgezogen, um hier schnell reagieren zu können.

„Außerdem haben wir in den letzten Jahren eine Tarifvielfalt entwickelt, um mit unseren Angeboten möglichst viele Kund:innen anzusprechen. Das führt zu einer hohen Komplexität, will man eine solche Regelung in alle diese Tarife einbauen“, erklärt Frank Schmidt weiter. „Wir mussten hier schnell einen Weg finden – trotz im operativen Geschäft auftretender Fehler – die Steuern und die Höhe der staatlichen Gelder exakt und prüfbar zu ermitteln. Dazu waren nicht nur validierte Verfahren zur Berechnung, sondern auch Funktionen zum Stornieren sowie Tabellen notwendig, in denen jede einzelne Finanztransaktion unveränderbar dokumentiert werden konnte.“

Letzten Endes hatten all diese organisatorischen und technologischen Baustellen unzufriedene und verwirrte Kund:innen zur Folge, denen mit den Preisbremsen eigentlich geholfen werden sollte. Und Mitarbeitende in den Versorgungs- und IT-Unternehmen, deren Überstundenkonten ins Unendliche stiegen. „Die fehlende Priorisierung gegenüber anderen Veränderungswünschen der Politik hat die Mitarbeitenden bis weit über eine zu verantwortende Belastungsgrenze beansprucht. Die Bindung zusätzlicher Dienstleister, um das Stoßgeschäft abzufangen, zog zusätzliche Kosten nach sich, die am Ende als Steuerlast oder Energiekosten bei den Bürger:innen ankommen werden“, sagt der CIO der Magdeburger Stadtwerke.

Lage stabilisiert sich langsam

„Die Politik muss sozial abfedern, damit Industrie und Wirtschaft weiter am Laufen gehalten werden. Software-Anbieter sollen dafür sorgen, dass die Prozesse IT-seitig wie am Schnürchen laufen.“

Frank Schmidt, Arbeitskreissprecher Energieversorger der DSAG e.V. und CIO Städtische Werke Magdeburg

„Erst seit August 2023 kehren wir langsam wieder zu einem normalen Abrechnungsbetrieb zurück. Aber immer noch sind bei uns viele Kolleg:innen, die eigentlich für Programmierung oder Tarifentwicklung zuständig sind, einzig und allein mit dem Thema Preisbremsen beschäftigt. Im Kundenservice häufen sich Vorgänge und Kund:innen lassen sich immer öfter ihre komplexen Rechnungen erklären“, erklärt Frank Schmidt. Eine Folge davon ist eine verzögerte Rechnungszustellung, die nicht nur Auswirkungen auf die Liquidität der Energieversorger hat, sondern auch jene Kund:innen betrifft, die in der Zwischenzeit das Geld nicht zurückgelegt haben oder entsprechende Ersparnisse vorweisen können. Noch schwieriger werde die Situation dadurch, dass sich jetzt erst anlaufende Mahnungen an Kund:innen mit den aktuellen Forderungen überschneiden und so eine noch höhere Belastung darstellen.

Valide Ideen für die Zukunft

Wichtig ist für ihn im Moment vor allem positiv nach vorne zu gehen und es in Zukunft besser zu machen. Am Grundgedanken der Preisbremsen hat der CIO der Städtischen Werke Magdeburg nichts zu bemängeln. Damit die Hilfen planmäßig umgesetzt werden können, regt er jedoch an, sowohl Energieversorger und deren Interessensverbände, als auch Softwareanbieter und Anwendergruppen – wie SAP und die Anwendervereinigung Deutschsprachige SAP-Anwendergruppe e.V. (DSAG) – während des Lösungsfindungsprozesses stärker einzubinden. So hätte man praxistauglichere Ideen hervorbringen können, die alle Parteien am Ende weniger kosten – vor allem die Kund:innen. „Der Politik obliegt es, die Ziele zu formulieren, es sollte jedoch den Fachexpert:innen vorbehalten sein, die dafür geeigneten Verfahren zu beschreiben“, regt Frank Schmidt an.

Lobend hebt er auch die direkte Zusammenarbeit mit SAP hervor: Seitens des Herstellers wurde auf Anfragen der DSAG-Mitglieder zügig reagiert. „SAP war sofort zur Stelle und hat sich mit uns Anwender:innen zusammengesetzt und genau zugehört, was wir in welcher Form wie schnell benötigen. Fünf Pilotkunden haben das nicht nur beschrieben, sondern die entwickelten Lösungen auch zeitnah getestet. Und bei offenen fachlichen Fragen hat der VKU unkompliziert geholfen. Die Vielfalt der Sonderfälle hätten wir in Eigenregie niemals allein in unsere Abrechnungsprozesse praktisch umgesetzt bekommen. Schon gar nicht in der geforderten Zeit.“ (pq)

www.dsag.de